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Umwelt & Nachhaltigkeit

Hanf – das neue Baumaterial

Hanf erfährt nicht nur in der Medizin, Textil- oder Nahrungsmittelindustrie eine neue Renaissance. Nein, in Zeiten von Holz- und Kiesknappheit zeigt ein kreativer Bauberater, dass man aus einem Hektar Hanf ein ganzes Einfamilienhaus bauen kann. Das Beste dabei: Auf diese Weise kann nicht nur komplett abfallfrei gebaut, sondern auch eine CO2-Bilanz von minus 90 Prozent erreicht werden. Über einen neuen Baustoff, der die Welt verändern könnte.

Veröffentlicht von Tanja Johannsen am 24. Juni 2021

Die Baubranche ist einer der Hauptverursacher für den enormen Ressourcen- und Energieverbrauch. So kommen ca. 30 Prozent der CO2-Emissionen und 50 Prozent aller Abfälle vom Baugewerbe, sogar rund 40 Prozent des Energieverbrauchs ist ihm zuzurechnen. Angesichts der durchschnittlichen Nutzungsdauer eines Hauses von 30 bis 50 Jahren in der EU und der Tatsache, dass sie bei Abriss dem Sondermüll zuzuordnen sind, da Materialien nicht mehr getrennt werden können, ist der Schrei nach Alternativen groß. Ausgerechnet die Hanfpflanze könnte genau das sein.

Baustoffe aus regional nachwachsenden Rohstoffen zu gewinnen ist sicherlich nicht neu. Hanf jedoch ermöglicht eine komplette Schließung des Wertstoffkreislaufs im Bau und stellt gleichzeitig das Wohlbefinden der Bewohner sicher. Denn der sogenannte Hanfstein, der als Baumaterial verwendet wird, besteht einfach nur aus Hanf, Kalk und Wasser. Er lässt sich zum einen als Baumaterial wiederverwenden, zum anderen in geschreddertem Zustand als Naturdünger einsetzen.

Hanfstein, der Alleskönner

Als Baustoff bewirkt der Hanfstein wahre Wunder: Dank der Eigenschaften der Hanf-Kalk-Mischung dämmt, speichert und reflektiert die Wand Wärme, reguliert die Luftfeuchtigkeit und reinigt gleichzeitig die Raumluft. Zusätzliches Dämmmaterial wird nicht benötigt. Nach Berechnungen der EN 15804, der Norm für die Erstellung von Umwelt-Produktdeklarationen, wird im Hanfstein rund 90 Prozent mehr CO2 gespeichert, als im gesamten Zyklus von Anbau, Produktion bis hin zur Kompostierung freigesetzt wird. Dies entspricht einer Bilanzsumme von minus 90 Prozent.

Entwickelt hat ihn der Südtiroler Werner Schönthaler. Die Idee kam dem Bauberater, als er während einer längeren unfallbedingten Ruhepause den Entschluss fasste, regional nachwachsende Bauprodukte herzustellen. Im Familienbetrieb entwickelte er das sogenannte Kaltluftverfahren, durch das Hanf und Kalk zu einem Ziegel verarbeitet werden. Im Gegensatz zu normalen Ziegeln müssen Hanfziegel nämlich nicht gebrannt werden, sondern einfach nur an der Luft trocknen. Drei Jahre lang hat Schönthaler daran experimentiert und testete den neuen Baustoff, indem er sein eigenes Haus damit baute.

Den Hanf als Rohstoff bezog er durch seine beiden Partner Ecopassion und Alpenpioniere aus der Region. Seit 2018 bauen über 30 Bio-Landwirte Hanf in Norditalien, Süddeutschland und der Schweiz an, der für Nahrungsmittel, Kosmetika oder Textilien verwendet wird. Dabei punktet der Hanfanbau mit Vorteilen wie der Regeneration der Bodenbeschaffenheit oder damit, dass kein Einsatz von Pestiziden oder Herbiziden nötig ist. Vor allem aber ist es ein schnell wachsender Rohstoff, der laut Eccopassion etwa 50-mal schneller wächst als Holz. Nur fünf Monate werden benötigt, um auf einem Hektar Hanffeld Biomasse für ein kleines Einfamilienhaus zu ernten.

Eine Pflanze – vier Industrien

Während Blüten und Samen vor allem für die Lebensmittelproduktion verwendet werden, wird die Faser des Pflanzenstamms vom Holz getrennt und in der Textil- sowie Automobilindustrie verarbeitet. Das Holz, das sich Hanfschären nennt, wird dann zusammen mit Naturkalk zu Hanfziegeln verarbeitet. Um eine gleichbleibend hohe Qualität der Ziegel zu gewährleisten, muss dabei nicht nur das richtige Mischverhältnis eingehalten werden. Es kommt auch auf den richtigen Kalk an, der ausreichend Mineralgehalt haben muss, um die optimale Trocknungszeit und Dämmwirkung zu erzielen. Doch nicht nur darin lag die Herausforderung für Schönthaler und seine Partner. Als Pioniere auf diesem Gebiet galt es Fachgremien zu überzeugen und Zertifizierungen des Baustoffs für den kommerziellen Einsatz zu bekommen. Mittlerweile ist dies für Italien, Österreich und Deutschland gelungen.

Hanf als Baustoff hat es zwar bisher noch schwer, sich durchzusetzen, doch für die Zukunft hat es enormes Potenzial, gerade vor dem Hintergrund der EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden. Sie schreibt vor, dass alle neuen Gebäude bis Ende 2020 nahezu energiefrei sein müssen. In der Umsetzung muss somit bei jedem Bau die Produktion und die Entsorgung von Materialien in die Ökobilanz einberechnet werden. Der Hanfziegel scheint hier unschlagbar. Werner Schöntahler und seine Partner haben es sich für die nächsten Jahre zur Aufgabe gemacht, Hanf und Kalk als Baustoffe populärer zu machen und weiterzuentwickeln. Ich bin davon überzeugt, dass sie damit die Baubranche verändern werden.

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