Ethik & Gesellschaft
Nicht ohne meine Mutter
Am 24. August beginnen die 16. Paralympischen Sommerspiele in Tokio, bei denen Athletinnen und Athleten mit Körperbehinderung aus mehr als 150 Ländern um die Medaillen wetteifern. Darunter befinden sich auch über 100 Sportler des deutschen Teams. Doch nicht alle dürfen ihre Begleitpersonen mitnehmen. Über Spiele mit Hindernissen.
Veröffentlicht von Eike Benn am 23. August 2021
Bereits im Juli hat die blinde und taube US-Schwimmerin Becca Meyers ihren Start bei den Paralympics abgesagt, weil ihre Mutter sie nicht nach Tokio begleiten darf. In einem Beitrag für die Zeitung „USA Today“ beklagt die 26-Jährige, dass ihr das Olympische und Paralympische Komitee ihres Heimatlandes (USOPC) anders als bei früheren Wettkämpfen die Unterstützung ihrer Mutter nicht genehmigt habe.

Die brauche sie aber, um sich als blinder und tauber Mensch „sicher durch die chaotischen und verwirrenden paralympischen Austragungsorte bewegen [zu können]“, so Meyers. Paralympische Spiele sollten ein Ort sein „an dem wir in der Lage sind, unter gleichen Bedingungen mit allen Annehmlichkeiten, Schutz- und Unterstützungssystemen miteinander zu konkurrieren.“ Diesen Gedanken scheint das USOPC nicht zu teilen. Die Paralympics sind so schon jetzt eine Inklusionsveranstaltung mit mangelhafter Inklusion.
Der deutschen Parakanutin Edina Müller wiederum fiel es nicht leicht, Kinderbetreuung und die Vorbereitungen für die Paralympics zusammenzubringen. Die 38-Jährige wurde 2019 Mutter eines Sohnes und ließ sich nicht davon abbringen, ihren Traum von der Goldmedaille weiterhin verwirklichen zu wollen. Das erforderte viel Planung von Trainings- und Familienzeiten. Auch musste sie häufig finanziell selbst zuschießen, zum Beispiel für Verpflegung oder Flugtickets. Ihr Sohn benötigt darüber hinaus jemanden, der sich um ihn kümmert, während Müller trainiert, was in der Regel ihr Partner oder ihre Mutter übernehmen. Die strengen Coronaregeln an Flughäfen, im olympischen Dorf und den Wettkampfstätten erschweren die Aufgabe der vielseitigen Leistungssportlerin zusätzlich. Ohne die tatkräftige Unterstützung ihrer Familie, ihres Trainers und ihrer Sponsoren wären die Paralympics wohl ein Traum geblieben.

Es ist schon eine absurde Situation. Während der Fußball-Europameisterschaft sah man im Fernsehen Bilder prall gefüllter Stadien, die sich im Nachhinein als Superspreading-Events für das Coronavirus entpuppten. Das zeigten etwa Daten von Public Health England (PHE), denen zufolge bei den beiden England-Spielen im Halbfinale und Finale am 7. und 11. Juli in London sich tausende Menschen nachweislich mit Corona infiziert hatten. Hier wurde der Seuchenschutz kurzerhand zugunsten von König Fußball aufgeweicht. Was nicht passt, wird passend gemacht. Berechtigte Ansprüche behinderter Spitzensportler hingegen sind mit Verweisen auf die Pandemie schwer bis gar nicht zu erfüllen. Inklusion hat noch einen weiten Weg vor sich.
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