Kinderschutz
Gedenkveranstaltung für Yagmur
Im Rahmen der Yagmur-Gedenkfeier wurde am Dienstag im Hamburger Rathaus der Yagmur-Erinnerungspreis „Zivilcourage im Kinderschutz“ an die Stiftung SeeYou verliehen. Renommierte Akteure im Kinderschutz hatten dabei einiges zu sagen – und einer war erstaunlich still.
Veröffentlicht von Silke Hirschfeld am 21. Dezember 2018
Sie wäre inzwischen acht Jahre alt und ginge in die zweite Klasse. Doch Yagmur starb vor fünf Jahren an den Folgen der Misshandlungen durch ihre leibliche Mutter. Nach ihrem Tod wurden an dem kleinen Körper 82 Verletzungen festgestellt. Zum Teil mit Schminke kaschiert, damit das Jugendamt nichts merkt, unter dessen Aufsicht die Familie stand und das die Rückführung Yagmurs von der Pflegemutter zu den leiblichen Eltern angeordnet hatte. Ein Riss in der Leber beendete das Leben des Mädchens und erlöste sie von ihren qualvollen körperlichen und seelischen Schmerzen.
Viel hat sich seither getan. Die Tat löste großes Entsetzen aus und sorgte bundesweit für Schlagzeilen, insbesondere weil die Jugendämter die Gefahr für das Mädchen trotz vieler Hinweise übersahen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wurde gegründet, zahlreiche Maßnahmen für einen besseren Kinderschutz wurden in der Hansestadt ergriffen und die Enquetekommission ins Leben gerufen. Und trotzdem starben weitere Kinder aus Familien, die dem Jugendamt bekannt waren: Tayler (13 Monate) wurde 2015 von seinem Vater zu Tode geschüttelt, Ayesha (2 Jahre) wurde 2017 von ihrem Vater die Kehle durchgeschnitten, Miriam (2 Jahre) wurde 2018 von ihrem Vater erstochen. „Wir haben alles, was wir fachlich regeln können, gemacht“, betonte Dr. Melanie Leonhard, Senatorin für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, gegenüber der WELT. „Aber Jugendhilfe ist ein Prozess, man wird sich die Dinge immer wieder angucken müssen.“ Angucken ist dabei ein wichtiges Stichwort.
„Die toten Kinder sind nur die traurige Spitze des Eisbergs“, hatte Michael Lezius, Gründer der Yagmur Gedächtnisstiftung, einmal in einem Gespräch gesagt. „Yagmurs Tod hat Hamburg total aufgewühlt“, sagte er am Montag in einem Interview zur WELT. „In Deutschland muss mehr für den Kinderschutz getan werden, und zwar systematisch.“ Das sei „eine Geldfrage, aber auch eine Bewusstseinsfrage“.
Lezius selbst hat dieses Bewusstsein und wird nicht müde, öffentlich darüber zu reden und die Akteure der Institutionen im Kinder- und Jugendschutz anzutreiben, sie besser zu vernetzten und auf Missstände hinzuweisen. Das tut er meist laut und hartnäckig. So mag es für ihn eine ehrliche Strafe gewesen sein, dass er am Dienstag wegen eines grippalen Infekts keine Stimme hatte. Seine Frau Sabine verlas deshalb sein Grußwort auf ihre wunderbar eigene emotionale und eindringliche Weise.
Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, Hamburgs Justizministerin a.D. und ehemaliges Jurymitglied des HanseMerkur Preises für Kinderschutz, und Prof. Dr. Ludwig Salgo von der Universität Frankfurt betonten in ihren Vorträgen die Bedeutung individueller Kinderrechte im Grundgesetz und wie wichtig es ist, dass Kinder in jeglichen Verfahren angehört und vor allem ernst genommen werden.
Daniel Oetzel, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft (FDP), sprach über die 70 Empfehlungen zum Kinderschutz, die die Enquetekommission gerade nach zweijähriger Arbeit verabschiedet. Da diese leider noch nicht öffentlich sind, konnte er leider noch keine konkreten Aussagen machen, obwohl es für die Veröffentlichung kaum einen passenderen Rahmen hätte geben können.
Am Ende verlieh der ehemalige Hauptpastor Helge Adolphsen den Erinnerungspreis „Zivilcourage im Kinderschutz“ an Dr. Sönke Siefert, Geschäftsführer der Stiftung SeeYou, für das Projekt Babylotsen. Im Rahmen des Projektes betreuen medizinische Fachangestellte werdende und junge Eltern in Geburtskliniken und Arztpraxen und vermitteln sie bei Bedarf an unterstützende Einrichtungen. Siefert sagte in seinen Dankesworten nicht zu Unrecht, dass der Preis in diesem Jahr umbenannt werden müsste, denn bei SeeYou geht es nicht um Zivilcourage, sondern um „Sozialcourage im Kinderschutz“.
Das musikalische Rahmenprogramm bestritten mit lauten und leisen Klängen Liedermacher Rolf Zuckowski und das Kindermandolinen-Orchester, Hamburg-St. Georg
Im Januar werden die Empfehlungen der Enquetekommission veröffentlicht. Darauf sind wir bereits sehr gespannt und werden natürlich darüber berichten. Wir sind uns sicher, dass eine der Empfehlungen lauten wird, sich nicht nur die „Dinge im Prozess“ immer wieder genau anzugucken, sondern vor allem die Kinder, um die es ja geht.
Beitragsbild (v.l.n.r.): Helge Adolphsen, Dr. Sönke Siefert, Michael Lezius
Fotos: Jasper Ehrich
