Die Antirassismus-Trainerin Tupoka Ogette hat mit „EXIT RASICM – rassismuskritisch denken lernen“ einen Rassismus-Ratgeber geschrieben, der fernab von rein wissenschaftlichen Texten und stauber Literatur ist. Ogette nimmt den Leser auf eine rassismuskritische Reise mit und begleitet ihn in dem Prozess, sich von Grund auf mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dafür hat sie ihren Ratgeber interaktiv gestaltet. In den einzelnen Kapiteln weist Ogette den Leser am Ende auf weiterführende Materialien hin, die auf der Website www.exitrascim.de zu finden sind. Außerdem lässt sie sowohl Experten, als auch Teilnehmer ihrer Workshops, in Erfahrungsberichten zu Wort kommen.
Ziel dieses Ratgebers ist der Ausbruch aus Happyland. Eine illusorische Welt, in der weiße Menschen sich gut vor Rassismus verstecken können und ohne sich damit auseinander zu setzen, Rassismus von sich zu weisen. EXIT RASICM gibt es nicht nur als Buch, auch in dem gleichnamigen Hörbuch begleitet Ogette den Hörer auf einer rassismuskritischen Reise. Über die verschiedenen Musikdienste wie Spotify, Apple Music, Deezer & Co. steht es Ihnen sogar kostenlos zur Verfügung.
Auf meiner Reise hat mich, als geschichtlich interessierter Menschen, vor allem die Tatsache erschrocken, dass bis auf den Oberbegriff Sklavenhandel, das Thema Rassismus in meiner schulischen Ausbildung keine große Rolle gespielt hat. Selbst der Bezug Deutschlands zu den Verbrechen in der Kolonialgeschichte steht nicht in den Geschichtsbüchern. Wussten Sie, dass Immanuel Kant und viele weitere große Aufklärer ihrer Zeit, ganz offensichtlich Rassisten waren? Auch bekannte Dichter, Musiker und Anthropologen haben daran mitgearbeitet, den Rassismus aus der Mitte unserer Gesellschaft aus zu formen und zu verankern. Über diese vielen unterschiedlichen Epochen hinweg hatte Rassismus ein Stimme und hat unserer Umgebung und unseren Alltag, bis heute geprägt. Rassismus ist dabei nicht nur bewusster Hass, es ist viel mehr als das. Ein komplexes, vielschichtiges, soziales als auch politisches System, dass vor vielen Generationen konstruiert wurde und bis heute nachwirkt und in allen gesellschaftlichen Bereichen präsent ist.
Es ist daher nicht überraschend, dass in der aktuellen rassismuskritischen Debatte, in vielen deutschen Städten, Straßennamen sowie Namen von Bahnhöfen und Plätzen ans Licht kommen, die einen rassistischen Hintergrund haben. Auch die Giraffe in Hagenbecks Tierpark sowie Denkmäler und Statuen von Sklavenhaltern und offenen Rassisten stehen öffentlich in der Kritik und es wird gefordert, diese umzubenennen oder zu entfernen.
Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich vor meiner rassimuskritischen Reise, ausgelöst durch Ogettes Ratgeber, dieses Thema auch hätte „abtun“ können. Stimmen wie: „Das ist doch so weit in der Vergangenheit und hat heute nicht mehr diese Bedeutung“, waren für mich in Happyland nicht völlig fern. Heute weiß ich, dass diese Meinung oder auch nur diese Annahme, grundlegend falsch ist. Denn diese Diskussion verdeutlicht nur das Problem: Rassismus ist so stark und selbstverständlich in unserem Alltag integriert, dass wir ihn gar nicht bemerken, wenn wir uns damit nicht aktiv auseinander setzen. Aber genau diese Straßennamen, Bahnhöfe oder Statuen verankern in uns Menschen von klein auf, dass ein Unterschied zwischen Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe gemacht wird.
Wenn Sie es noch nicht gemacht haben, sehen Sie sich bitte jetzt das Beitragsvideo an. Es verdeutlicht auf erschreckende Weise, dass wir von klein auf mit Vorurteilen und Stereotypen aufwachsen, ohne dass wir je rassistisch erzogen worden sind oder Erfahrungen in unseren jungen Jahren damit gemacht haben müssen. Und das, obwohl Deutschland ein Land ist, wo heute jeder fünfte Mensch d.h. 16 Millionen Menschen einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist Deutschland sogar das zweitbeliebteste Einwanderungsland der Welt und der zentrale Motor der Migrationsentwicklung Europas. In Deutschland leben seit dem 15. Jahrhundert schwarze Menschen und unterstreichen die schwarze deutsche Geschichte. Und trotzdem beschreibt Ogette und viele andere schwarze Menschen, dass sie seit ihrer Kindheit immer wieder das Gefühl haben „doch nicht hierher zu gehören“, „dass es doch nicht ihre Heimat ist“. Sie fordert deshalb etwas, was selbstverständlich sein müsste: „Lasst uns das Verständnis, was und vor allem wer deutsch ist, erneuern!“
Im Brockhaus heißt es: „das Rassismus eine Bedrohung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit und das selbstbestimmte Leben von Minderheiten sowie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Aus diesem Grund bedarf es der kontinuierlichen Aufklärung über Gefahren, die von Rassismus ausgehen.“ Wenn also selbst Kinder, die wir als unbeschriebene Blätter, die nicht bewusst böse sein können, ansehen – dann ist es umso schlimmer, dass wir schon in diesen jungen Jahren mit Vorurteilen belegt sind. Es ist Teil der Gesellschaft, in der wir sozialisiert werden und kann gravierende Folgen haben. Wenn Sie hören, dass schwarze Kinder weiße Cremes benutzen, um sich anzupassen oder probieren sich hell zu waschen, Seife essen oder nur noch mit Kapuze zur Schule gehen, damit niemand mehr ihre Haare anfässt, ist das kein Einzelfall und vor allem kein weit entferntes Problem. Dieser Alltag findet in Deutschland statt und hindert junge Menschen daran sich frei zu entfalten.
Dem brutalen Tod von George Floyd ist eine Bewegung gefolgt, die Rassismus wieder auf die Tagesordnung geholt hat. Wie ich aber bereits erklärt habe hoffe ich, dass es bei keiner Momentaufnahme bleibt. Rassismus ist so tief in unserer Geschichte und leider auch in unserer Kultur verankert, dass es nötig ist, dass wir uns alle damit auseinandersetzen. Am besten von klein auf. Es muss in der Schule thematisiert werden, damit die Menschen lernen sich damit zu beschäftigen. Insbesondere in Deutschland, wo unsere Geschichte uns mit den Verbrechen in der Nazizeit einen Stempel aufdrückt, den wir nicht gerne thematisieren. Wir lieben Happyland, in dem wir uns verstecken können und das Thema Rassismus von uns weisen können, ohne uns als Rassist zu fühlen oder als ein solcher zu agieren.
Wenn Sie immer noch skeptisch sind und Rassismus als kein großes Problem unserer Gesellschaft ansehen, dass Sie frei von Stereotypen und Vorurteilen sind, dann stellen Sie sich einmal die Frage: Welche Hautfarbe hat der Weihnachtsmann? Und anschließend: Ob Sie wirklich immer noch an den Weihnachtsmann glauben?