In Zeiten von Kriegen sind Notleidende besonders häufig hinterbliebene Frauen, Witwen und ihre Kinder. Ein Beispiel wie diesen Frauen nachhaltig geholfen werden kann, beweist das Projekt in der Nähe der nordsyrischen Stadt Darbasijah. Nach mehr als fünf Jahren Krieg gegen die IS-Terrormiliz sind Tausende von Frauen zu Witwen geworden und mittellos. Aus dieser Not heraus ist im November 2018 das Dorf Dschinwar geboren worden. Hier leben und arbeiten ausschließlich Frauen und ihre Kinder und haben sich ein Dorf mit eigener Bäckerei, einem Gesundheitshaus, einem Bildungszentrum, einem Küchengebäude sowie einer Schule aufgebaut. Die angrenzenden Felder und Gärten des Dorfes werden ebenfalls von den Frauen selbst bewirtschaftet. Mittlerweile gibt es rund 30 Wohnhäuser mit Elektrizität, Wasserversorgung und TV-Satellitenschüsseln, eigens aus Lehm gebaut. „Dschin“ bedeutet in kurdischer Sprache Frau und „war“ so viel wie Ort, Heimat und Land. Die Frauen verwalten sich selbst, nach demokratischen Prinzipien.
Dschinwar ist mittlerweile auch das Zuhause von Melka, die mit ihren beiden Söhnen und einer Tochter in dem Dorf Zuflucht gefunden hat. „Mein Mann ist 2016 als Märtyrer im Kampf gegen den IS gefallen und die Familie verweigerte mir jede Hilfe, um auf eigenen Beinen stehen zu können“, erklärt sie. Auf das Dorf Dschinwar wurde sie von der Behörde für Selbstverwaltung aufmerksam gemacht und kann nun als Bäckerin im Dorf ihr eigenes Geld verdienen, während die Kinder zur Schule gehen.
Auch wenn es auf den ersten Blick nach dem Inbegriff der emanzipierten Frau aussieht, überrascht noch im selben Gedankenschritt der gesellschaftliche Hintergrund des Staates. Ausgerechnet in Syrien? – Einem Land mit einer dominant patriarchalischen Gesellschaft. Die jahrelange Revolution gegen das Assat-Regime wurde insbesondere von kurdischen Minderheiten in Nordsyrien vorangetrieben. Großer Bestandteil des neuen politischen Systems, der Region zwischen Euphrat und der irakischen Grenze, ist die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Dieser Hintergrund und die geförderte Demokratie, insbesondere durch die USA, machen ein so ambitioniertes Frauenprojekt in Nordsyrien möglich.
Neben der spendenfinanzierten Unterstützung von kurdischen Frauenorganisationen und teilweise Nichtregierungsorganisationen aus Europa, profitieren die Frauen zusätzlich von freiwilligen Helfern aus dem Ausland. So wie von der 27-Jährigen Nudschin aus dem Ruhrpott. Sie kam vor eineinhalb Jahren nach Nordsyrien, wollte helfen, jedoch nicht als Soldatin im Kampf gegen den IS. „Zuerst war das Frauendorf nur ein verwegener Traum, aber jetzt ist er Wirklichkeit“, berichtet Nudschin stolz. Nudschin, das ist ihr kurdischer Name. Eine neue Identität, die alle Freiwilligen aus dem Ausland erhalten.
Und trotzdem bleibt es bei einem Tropfen auf den heißen Stein, wenn es von dem Projekt in Nordsyrien keine Nachahmer gibt. Denn allein in Nordsyrien gibt es weit mehr Frauen in Not, als Dschinwar je aufnehmen werden kann. Die Menschen müssen in ihren Heimatländern nach diesem Beispiel unterstützt werden, um sich ihr Leben, ihre Zukunft, wieder aufbauen zu können. Dass es sich dabei nicht ausschließlich um monetäre Mittel handeln muss, beweist Nudschin mit ihrem Engagement und Hilfe bei dem Frauendorf in Nordsyrien.