Beruf & Familie
Wanted: Unterrichtskonzept Pandemie
In der Pandemie ist alles anders, das merken auch die kleinsten der Gesellschaft. Werden sie die sein, die im Fernunterricht verloren gehen? Oder schaffen wir es binnen kürzester Zeit einen Hilfeplan zu entwickeln, der Chancengleichheit im Ausnahmezustand möglich macht?
Veröffentlicht von Silke Hirschfeld am 19. Mai 2020
Nachdem Schulsenator Thies Rabe verkündete, dass der digitale Fernunterricht in Hamburg bis Jahresende andauern wird, habe ich vergangene Woche in einem Blogbeitrag sehr klar die Frage nach einem Hilfeplan gestellt. Denn für eine grundsätzlich neue Unterrichtsform müssen ja auch neue Voraussetzungen geschaffen werden, zum Beispiel in Form von Hardware. Verdutzt las ich zwei Tage später in der Hamburger Tagespresse, dass Peter Tschentscher dafür sorgen will, dass allerspätestens nach den Sommerferien alle Schulkinder mit einem Computer oder Laptop ausgestattet werden, damit auch die nicht abgehängt werden, deren Eltern sich keinen Computer leisten können.
Keine Sorge, so naiv bin ich nicht – vermutlich hatte unser Bürgermeister das Thema längst auf der Agenda. Aber der Gedanke, dass der Hamburger Senat vielleicht die Beiträge unseres CSR-Blogs liest und unseren Handlungsempfehlungen folgt, der ist so schön, dass ich ihn noch etwas weiter denken möchte und deshalb gleich nochmal ein paar Themen platziere, die derzeit wirklich im Argen liegen. Denn tatsächlich sind natürlich Tausende Computer ein guter Anfang, aber noch längst keine Lösung. In vielen Haushalten gibt es gar kein Internet, von einem Drucker ganz zu schweigen. Hinzu kommt, dass es den Kids auch einfach an der nötigen Medienkompetenz mangelt: Wie lade ich eine Datei runter? Wie arbeite ich in Dokumenten und speichere sie anschließend so, dass ich sie auch wiederfinde? Wie formatiere ich und wie arbeite ich mit einem E-Mailsystem? Je kleiner die Kinder oder je bildungsferner die Haushalte, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Wissen nicht vorhanden ist.
Unabhängig vom digitalen Wissen gibt es aber noch ganz anderes Neuland: die Selbstorganisation. Schüler werden meist an die Hand genommen und angeleitet. Je älter sie werden, desto selbstständiger werden sie. Aber gerade die Schüler der unteren Klassen wissen noch gar nicht, wie sie sich selbst organisieren sollen. Wie lange brauchen sie für welche Aufgaben? Wie motivieren sie sich? Vor allem: Wie konzentrieren sie sich? Ein Klassenzimmer ist ein geschützter Raum zum Lernen. Der fehlt im Fernunterricht schlichtweg. Und je niedriger das Familieneinkommen, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass mehrere Kinder sich ein Zimmer teilen – vielleicht sogar den Computer. Wie soll ein Kind sich da abgrenzen? Viele Familien mit Migrationshintergrund sprechen daheim nur ihre Muttersprache. Die Eltern können ihren Kindern nicht bei den Aufgaben helfen. Gerade die Grundschulkinder verlernen zudem schnell wieder die deutsche Sprache. Sie benötigen für ihre soziale Entwicklung den direkten Austausch mit Lehrern und Mitschülern. Was ist mit den Kindern, die einen besonderen Förderbedarf haben? Erfolgt der zusätzlich zu dem einen Tag in der Woche, den jedes Schulkind bis Jahresende in der Schule verbringen wird?
Der benötigte Hilfeplan ist komplex und hat viele Facetten, technische wie menschliche. Viele Lehrer arbeiten derzeit auf Hochtouren daran, ihre Schüler in den wenigen Wochen zwischen Mai- und Sommerferien auf die neue Schulform vorzubereiten. Sie versuchen eigene kindgerechte Manuals zu erstellen, damit die Kinder daheim nötigenfalls alleine klar kommen. Während jedes Wirtschaftsunternehmen für bestimmte Ausnahmezustände einen Notfallplan haben muss, müssen Schulen dies scheinbar nicht. Es gibt keinen übergreifenden Notfallplan für ein „Unterrichtskonzept Pandemie“. Lehrer improvisieren derzeit was das Zeug hält und – wie so oft – springen die gemeinnützigen Initiativen ein, um aufzufangen, was die öffentlichen Stellen (noch) nicht vollständig leisten können. So erzählte mir vergangene Woche Jennifer Busch von der CLIMB Lernferien gGmbH, dass sie ihre Lehrinhalte für die anstehenden Sommerferien komplett den Umständen angepasst haben. CLIMB arbeitet an fünf Standorten in Deutschland mit verschiedenen Brennpunktschulen zusammen und betreut während der Ferien Schulkinder. Auf spielerische Weise wird dafür gesorgt, dass sie das Erlernte nicht bis zum nächsten Schuljahr vergessen haben. Zudem erleben sie eine sinnvolle Freizeitgestaltung und sind Teil einer Gemeinschaft, während ihre Familien sich häufig keinen Urlaub leisten können. Auch bei CLIMB ist nun alles anders. Der Inhalt ist nun exakt auf die neuen Anforderungen abgestimmt. Mit der gezielten Förderung in Medienkompetenz und Selbstorganisation werden die Schüler fit gemacht für die Besonderheiten, die sie im neuen Schuljahr erwarten. Dieses flexible Engagement finden wir so klasse, dass wir CLIMB als Benefizpartner für den Friendscup Förderverein vorgeschlagen haben. Am 5. Juni um 18.00 Uhr wird das Team um Sven Flohr wieder online gegen ein anderes Team antreten. Sie können live dabei sein und vom Sofa aus Gutes tun, indem Sie mit Ihren Spieleinsätzen mit bieten. Der Erlös geht vollständig an die CLIMB Lernferien gGmbh.
Nur für den Fall, dass jemand aus dem Hamburger Senat regelmäßig die Beiträge unseres Blog liest: Wenn wir wirklich gemeinsam gegen Corona stehen wollen, gibt es im Schulsystem noch viel zu tun und wir freuen uns immer über Ergebnisse, mit denen allen geholfen ist!