Kultur

Erste Biographie über Martin Haller

Er nannte sich Privat- und Luxusarchitekt, entwarf mehr als 500 Gebäude in Hamburg und prägte das 19. Jahrhundert in der Hansestadt wie kein anderer Baumeister. Martin Haller (1835-1925), der auch für den Kaufmann Siegfried Wedells im Jahre 1895 einen prächtigen Wohnsitz in der Neuen Rabenstraße 31 erschuf, der als „Haus Wedells“ heute in die Hauptverwaltung der HanseMerkur integriert ist, wird jetzt erstmals in einer reich bebilderten Biographie der Autorin Karin von Behr gewürdigt.

Veröffentlicht von Heinz-Gerhard Wilkens am 24. April 2019

Martin Haller war ein Kind des Hamburger Bildungsbürgertums. Hineingeboren in einen musischen Haushalt als zweiter Sohn christlich getaufter jüdischer Eltern. Sein Vater Nicolaus Ferdinand ein erfolgreicher, humorvoller Jurist, ist erst Präses der Finanzdeputation und wird 1863 als erster Senator jüdischen Ursprungs sogar Hamburgs Bürgermeister. Sohn Martin steigt über den Schulabschluss am humanistischen Johanneum in die geistige Elite der Stadt auf, beherrscht später neben Griechisch und Latein auch Englisch und Französisch. An der Gewerbeschule nimmt er Zeichenunterricht und beteiligt sich 1854 schon als 18-jähriger Gymnasiast anonym mit einem Kuppelbauentwurf am Rathauswettbewerb. Der Sitz von Senat und Bürgerschaft war 1842 dem Großen Brand zum Opfer gefallen. Es sollten noch zwei weitere Wettbewerbe ausgeschrieben werden, bis Haller sich in der Geschichte den Ruf als Rathausbaumeister erwerben sollte. „Meine hauptsächlichste Lebensaufgabe“ nennt Haller in seinen Lebenserinnerungen, die er in elf Kladden auf 1.100 Seiten zwischen 1913 und 1920 zu Papier bringt, später die Beschäftigung mit dem Bau des Hamburger Rathauses.

Haller – mittlerweile 50-jährig – ist schließlich Kopf des Rathausbaumeisterbundes aus renommierten Architekten, der 1880 dem Hamburger Senat die Konstruktionspläne zum Weihnachtsfest übergibt. Zwei Jahre später erfolgt das Richtfest, am 6. Mai 1886 die Grundsteinlegung. Die Bausumme beträgt 4.600.000 Mark. Bis zur Einweihung (26. Oktober 1897) und Fertigstellung (1898) tagt die Rathausbaukommission über 100-mal. Doch es wäre verkürzt, Hallers Wirken auf seinen maßgeblichen Anteil am Rathaus-Neubau zu beschränken, wo er, wie er schreibt, seiner „Vorliebe für italienische Formen bei der Ausbildung der Senatsräume ohne alle Scrupel gefolgt“ ist.

Der Student der Berliner Bauakademie, gebildet in Paris, wo er am Wettbewerb für die neue Oper teilnimmt, der Vorsitzende des „Architekten-Vereins“ Hamburg (1876-1884), der Vater von vier Kindern, der Frankreich-, Italien- und Amerikareisende und das Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (1885-1890) prägt die Belle Époque in Hamburg auch mit zahllosen Luxusvillen rund um die Außenalster, eine Gegend, die zu seiner Zeit bereits „Haller-Land“ getauft wurde. Dazu kamen prunkvolle Domizile wie jenes für das betuchte US-Sammler-Ehepaar Henry und Emma Budge (heute: Musikhochschule) oder repräsentative Stadthäuser wie jenes für den reichen Junggesellen Siegfried Wedells, das 120.000 Mark an Baukosten verschlingt. „Ob ehrlich, ob schlau, ob flott, ob genau. Ob protzig, ob fein, sie brachten mir manchen Groschen ein“, schreibt Haller in seinen Lebenserinnerungen. Er lässt sich mit seiner Familie ab 1891 in seinem selbst erbauten Heim in der Alsterterrasse 2 (heute: Höhe Schanzenbäckerei im PWC-Gebäude) nieder.

Martin Hallers architektonisches Vermächtnis umfasst aber auch 31 Bank- und Geschäftshäuser wie jenes für die Dresdner Bank am Jungfernstieg oder den monumentalen HAPAG-Firmensitz am Ballindamm. Dazu kommen der Bau der Hamburger Musikhalle zwischen 1903 und 1908, ermöglicht durch ein Vermächtnis des Reederehepaars Carl und Sophie Laeisz sowie der Wiederaufbau der Hauptkirche St. Michaelis nach dem Brand im Jahre 1906. Herausragend aber bleiben Planung und Bau des ersten Hamburger Kontorhauses Dovenhof, das 1885/86 in nur 18 Monaten für den Investor Heinrich von Ohlendorff zu einem Preis von 1.500.000 Mark mit 9.000 Quadratmeter Nutzfläche errichtet wurde. Hier muss Haller Schlosser und Ingenieure hinzuziehen, da statt einer Holzbauweise Eisenkonstruktionen zum Einsatz kommen, ebenso technische Neuerungen wie Zentralheizung, elektrische Beleuchtung, Paternoster- und Rohrpostanlagen sowie die Eisenunterstützung massiver Decken. Im Jahre 1967 wird der Dovenhof abgerissen. „Abbruch ist das Los aller unserer Werke“, hatte Haller einmal geschrieben.

Haller baute auch die Villa Fredersdorf in Othmarschen (heute: UN-Seegerichtshof) und jene für den Juristen Dr. Heinrich Wilhelm Bielenberg am Harvestehuder Weg 44 (heute: Anglo-German Club). Für den Baumaterialienhändler Johann Friedrich Krogmann entstand 1868 eine Residenz auf der Uhlenhorst (heute: Gästehaus des Hamburger Senats). Bedenkt man, das das Stadtpalais von Siegried Wedells am heutigen Siegfried-Wedells-Platz als Vorgänger des heutigen Gebäudes am Feenteich bis 1965 Hamburgs nationale und internationale Staatsgäste beherbergte, so hat Martin Haller der Feien und Hansestadt Hamburg zwei Senatsgästehäuser hinterlassen.

Hallers Epoche, geprägt durch Historismus und die Renaissance war gekennzeichnet durch das Repräsentationsbedürfnis des Bürgertums. Auf ihn folgt die rote Backstein-Ära Fritz Schumachers. Karin von Behr gibt in Hallers Biographie erstmals nach der großen Ausstellung über den Hamburger Baumeister des 19. Jahrhunderts im Jahre 1997 einen spannenden und kenntnisreichen Einblick auch in eine wirtschaftliche Boomzeit der Hansestadt. Dr. David Klemm (Hamburger Kunsthalle) bringt es auf den Punkt: „Die Stadt hatte sich zu Beginn seiner (Hallers) Laufbahn gerade von der Katastrophe des Großen Brandes von 1842 und auch von der Finanzkrise von 1857 erholt. Bis zum Ersten Weltkrieg folgte eine insgesamt stabile ökonomische Hochphase, in der die alteingesessenen Hamburger Familien und viele Emporkömmlinge enorme Geldsummen verdienten und in repräsentative Bauvorhaben investieren konnten und wollten.“

Karin von Behr

MARTIN HALLER 1835 – 1925

Privat- und Luxusarchitekt aus Hamburg

Dölling und Galitz Verlag

192 Seiten, 95 Abbildungen, Leinenband

ISBN 978-3-86218-118-6, 24,90 EUR

 

Hallers Wohnhaus an der Alsterterrasse 2, gebaut 1891
Foto: H.-G. Wilkens
Hallers Wohnhaus, Alsterterrasse 2, vom Garten aus gesehen
Foto: H.-G. Wilkens
Der alte Haller am Schreibtisch seiner Hamburger Stadtvilla
Foto: H.-G. Wilkens
Hallers Grundrisse des Hauses Wedells (Erdgeschoss & erstes Obergeschoss)
Foto: H.-G. Wilkens
Aufriss und Schnitt des von Martin Haller erbauten Hauses Wedells (1895)
Foto: H.-G. Wilkens
Das Grabmal von Siegfried Wedells (1848-1919) auf dem Ohlsdorfer Friedhof (N23/O23). Es wurde 2006 – auch mit Mitteln der HanseMerkur – restauriert.
Foto: H.-G. Wilkens
Das Familiengrab Martin Hallers (1835-1925) auf dem Ohlsdorfer Friedhof (W22).
Foto: H.-G. Wilkens
Die Gräber des Ehepaars Martin und Antoine Louise Haller auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Der Architekt starb nur drei Wochen nach sein Frau fast neunzigjährig im Oktober 1925.
Foto: H.-G. Wilkens

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