Als ich zum Jahreswechsel beschloss, 2020 unter das Motto „Minimalismus“ zu stellen und mir vornahm ein Jahr lang kein einziges Kleidungsstück, keine Schuhe, Taschen oder Accessoires zu kaufen (nicht einmal Second Hand), fand ich die Idee total verrückt und meine Ambitionen großartig. Schnell musste ich aber erkennen, dass mein Vorhaben nicht sonderlich exotisch, sondern eher Mainstream war, denn die Konsumspirale ist längst nicht mehr im Trend.
Es mag an Greta Thunberg liegen, dass Menschen plötzlich nicht nur ihr Reiseverhalten aufgrund von Flugskam (Flugscham) überdenken, sondern ihren gesamten Konsum. Ende letzten Jahres formierte sich daher eine lose Bewegung in Schweden mit dem Namen Köpskam (Kaufscham). Dass ausgerechnet der schwedische Modehersteller H&M mit der Nachricht in die Schlagzeilen geriet, Kleidung zu vernichten anstatt sie zu spenden, war den Aktivisten sicher ein großer Dorn im Auge.
Tatsächlich ist es so, dass die Spirale neuer Kollektionen sich immer schneller dreht. Hinzu kommen zwischengeschobene Mini-Kollektionen, Special Editions, Sales, Pre-Sales und Pre-Pre-Sales. Kreiert, produziert, reduziert und entsorgt wird in rasantem Tempo. Dass in den Lieferketten und Fertigungen immer die Menschenrechte eingehalten werden, darf bezweifelt werden, denn wenn ein T-Shirt für 2,99 Euro verkauft wird, sind damit kaum die Materialkosten gedeckt, trotzdem entstehen Personal- und Transportkosten. Jedoch ist nicht nur das Billig-Segment betroffen: „Nicht nur die Anhänger von Fast Fashion, auch die Luxus-Shopper haben allen Grund, sich wegen eines ungezügelten und unreflektierten Konsums zu schämen“, erklärt Alec Leach. Der 31-jährige war viele Jahre in der Modebranche zuhause, bevor er mit einem einjährigen Shopping-Detox ausstieg und das Instagram-Projekt Future Dust gründete. Mit seiner Initiative macht er auf Fehlentwicklungen der Modebranche aufmerksam und ermuntert seine Anhänger zum nachhaltigen Verzicht und zur Weiterverwendung. Bereits im Sommer letzten Jahres belegte das Re-Commerce Unternehmen momox, dass 53 Prozent der Deutschen Second-Hand-Kleidung kaufen. Dabei sind Besserverdienende noch Vintage-affiner als Geringverdiener.
Nun gibt es in diesem Jahr nichts, was nicht von der Pandemie beeinflusst wird. Wochenlange Lockdowns, Maskenpflicht und unbegrenzte Homeoffice-Anordnungen sorgen dafür, dass selbst die trendigsten Konsumenten sich ernsthaft fragen, ob sie etwas neues brauchen oder erst einmal mit dem auskommen, was sie haben. Laut einer Studie der Boston Consulting Group (BCG) konsumieren die Deutschen derzeit bewusster, was langfristig zu einer Umsatzeinbuße von mindestens 35 Prozent führen wird. Ausschlaggebend ist hierbei nicht nur der reduzierte Bedarf. Der Kunde hat in den letzten Wochen vielmehr darauf geachtet, welche Hersteller sich in der Krise sozial verantwortlich gezeigt haben und sich auch sonst nachhaltig verhalten, teilte BCG der WELT AM SONNTAG mit.
Wer meint, dass von schlechten Arbeitsbedingungen bis hin zur Menschenrechtsverletzung nur Schwellen- und Niedriglohnländer betroffen sind, hat weit gefehlt. Der britische Modehersteller Boohoo geriet jüngst in die Schlagzeilen. Das Billig-Label bringt wöchentlich über 500 neue Produkte auf den Markt, damit die jüngsten Fashionistas für wenig Taschengeld stets neu und billig gekleidet sind. Produktionsstätte von Boohoo ist Leicester in Großbritannien. Die Sunday Times hatte recherchiert, dass der Textilbetrieb mit 4,47 Pfund gerade einmal die Hälfte des vorgeschriebenen Mindestlohns zahlt. Zudem wurde während des Lockdowns ununterbrochen weitergearbeitet und sämtliche Hygienevorgaben ignoriert. Die Infektionszahl in Leicester ist so hoch, dass sie als einzige britische Stadt von den Lockerungen ausgenommen wurde.
Nun ist es einfach, immer mit dem Finger auf andere zu zeigen und darauf zu warten, dass andere handeln. Jeder von uns hat jeden Tag in jedem Moment die Wahl. Wir allein bestimmen, ob wir kaufen, was wir kaufen, wie viel wir kaufen, wo wir kaufen und zu welchem Preis. Wie viele T-Shirt, Hosen und Pullover braucht ein Mensch? Wie oft schauen wir uns vor dem Kauf an, wo das Kleidungsstück produziert wurde? Wie oft informieren wir uns vor der Kaufentscheidung darüber, wie das Label produzieren lässt? Ob wir Firmen wie Boohoo unterstützen oder nachhaltige Label, das liegt ganz allein an uns. Wenn ich über all diese Fragen nachdenke, finde ich bei mir noch großes Optimierungspotenzial. Tatsächlich hat aber mein Shopping-Detox, das mit einer umfangreichen Entrümpelung zum Jahreswechsel begann, zu erstaunlichen Erkenntnissen geführt. So habe ich mich mindestens von einem Drittel meiner Kleidung getrennt und stelle fest, dass ich von den verbleibenden zwei Dritteln maximal die Hälfte trage. Wann immer in mir die Idee aufkommt, dass ich etwas bestimmtes unbedingt brauche, fällt mir gleichzeitig ein, dass das ja gerade nicht geht. Dann stelle ich fest, wie sehr es mich entspannt, das ich gerade nichts kaufen brauche. Vielleicht ist das Shopping-Detox gar nicht das Verrückte. Verrückt ist einfach der Gedanke, etwas unbedingt kaufen zu müssen.