Geht es Ihnen bei dieser Einleitung auch ein wenig wie mir? Fragen Sie sich auch: Warum eigentlich erst jetzt? Als Küstenkind, wie ich eines bin (na ja, zumindest in Teilzeit – sozusagen), wächst man mit den wundersamen Eigenheiten des Meeres auf: Das Watt, die Muscheln, die „Plattfische“, die Krebse, die Möwen, die Austernfischer (gemeint ist hier der piepende Vogel), die quiekenden Strandläufer (auch hier: der Vogel – nicht der Mensch) und natürlich die Robben. Im Laufe der Jahre – oder in meinem Fall eher Jahrzehnte – bekommt man mit, was durch den Menschen angerichtet wird – der Plastikmüll, die Ölpest, das Fischesterben, die immer leiser werdenden Seevögelstimmen, um nur einige Aspekte zu nennen. Und wir reden hier nur von der Nordsee. Und ausgerechnet im Jahr 2021, nach so vielen Jahren, wird von der UN das Jahrzehnt des Ozeans ausgerufen? Nun ja, man könnte sagen: besser spät als nie, angesichts der über 3 Milliarden Menschen weltweit, denen der Ozean Nahrung bietet.
Umso wichtiger ist es, den „blauen Riesen“, die 71 Prozent unseres Planeten ausmachen, endlich die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Denn tatsächlich wissen wir nicht sehr viel über die Ozeane. Bislang sind beispielsweise nur etwa 20 Prozent des Meeresbodens in hoher Auflösung kartiert. Nicht erforscht sind vor allem die arktischen Regionen, in denen wenig über die Verteilung von Tier- und Pflanzenarten, der Ökosysteme und geophysikalischen Prozesse bekannt ist. Selbst über die Rückseite des Mondes ist mehr bekannt als über die Tiefsee. Dabei hängen Gesundheit, Sicherheit und Wohlbefinden der Menschen wesentlich vom Wissen über Ozeane ab. Ozeanforschung, und damit Wissenserweiterung, ist somit enorm wichtig.
Angesichts der Tatsache, dass Staaten im globalen Durchschnitt nur 1,7 Prozent ihres Forschungsbudgets für Ozeanwissenschaften ausgeben, ist ein Focus, wie ihn die Ozeandekade setzt, offenbar nötig: Unter dem Motto „The Science we need for the Ocean we want“ soll nun eine globale Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung angestoßen werden, die zum einen auf vorhandenem Wissen aufbaut, zum anderen aber auch neues Wissen zum Thema Nachhaltigkeit schafft.
Die sieben Ziele der Ocean Decade
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat sieben Ziele für die Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung bis zum Jahr 2030 beschlossen:
-
- ein sauberer Ozean, dessen Quellen der Verschmutzung identifiziert und reduziert oder entfernt werden,
-
- ein gesunder und widerstandsfähiger Ozean, dessen Ökosysteme verstanden, geschützt, wiederhergestellt und verwaltet werden,
-
- ein produktiver Ozean, der eine nachhaltige Nahrungsmittelversorgung und eine nachhaltige Meereswirtschaft unterstützt,
-
- ein vorausschauender Ozean, das heißt, dass die Gesellschaft die sich verändernden Bedingungen im Meer versteht und darauf reagieren kann,
-
- ein sicherer Ozean, vor dessen Gefahren Leben und Lebensgrundlagen geschützt sind,
-
- ein zugänglicher Ozean mit offenem und gleichberechtigtem Zugang zu Daten, Informationen, Technologien und Innovationen,
-
- ein inspirierender Ozean, das heißt, dass die Gesellschaft den Ozean in Bezug auf das menschliche Wohlergehen und die nachhaltige Entwicklung versteht und wertschätzt.
Für diese Ziele wurde ein Umsetzungsplan in einem umfassenden Konsultationsprozess entwickelt, der alle Weltregionen einbezog und von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurde. Innerhalb der Agenda 2030, dem UN-Aktionsplan für Menschen, den Planeten und den Wohlstand, hatten sich die Mitgliedsstaaten auf 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, den sogenannten Sustainable Development Goals, kurz SDGs, geeinigt. Mit der Verabschiedung des SDGs 14, hatte sich die internationale Gemeinschaft bereits dazu verpflichtet, die nachhaltige Nutzung des Ozeans bis 2030 zu erreichen. Die Ocean Decade knüpft genau daran an.
Angesichts von Dokumentationen wie Seaspiracy, über die wir erst Ende April berichtet haben, und der weltweiten Verklappung von Plastikmüll im Meer, wie sie unter anderem der kürzlich gefeierte Weltumwelttag anprangert, dürfen wir gespannt sein, inwieweit sich eine nachhaltige Nutzung der Ozeane bis 2030 umsetzen lässt. Sicher ist: Die Ozeane und Meere stehen unter enormen Druck. Und je mehr wir über sie wissen, desto eher wissen wir, wie wir ihnen helfen können.
Ocean Laboratories: Forschungseinrichtungen, Verbände, NGOs und Kunst- und Kultureinrichtungen können mitmachen
Die Bundesregierung jedenfalls handelt – und lädt dazu ein, sich zu beteiligen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat dazu gemeinsam mit der UNESCO die erste internationale Ocean Decade-Konferenz ins Leben gerufen: Vom 01.Juni 2021 bis zum May 2022 finden mit den Ocean Decade Laboratories eine Reihe von interdisziplinären Veranstaltungen in Form von Online-Sessions rund um die sieben Ziele der Ocean Decade statt. Forschungsinstitutionen, NGOs sowie Kunst- und Kultureinrichtungen, Verbände und Vereine können sich übrigens an dieser Veranstaltungsreihe beteiligen und Vorschläge für sogenannte Satellite Activities einreichen. Ziel ist es dabei, mit verschiedenste Formaten Vielfalt sowie den Austausch und die Teilnahme von Menschen aus verschiedenen Zeitzonen und Regionen der Welt zu gewährleisten. Nähere Informationen dazu gibt es hier.