Siegerbild: Die brennende Not
Am 9. September 2020 geht auf der griechischen Insel Lesbos die gescheiterte EU-Flüchtlingspolitik in Flammen auf. Die Unterkünfte von 12.600 Migranten aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, darunter 4.000 Kinder, werden ein Opfer der Feuersbrunst. Es war eine Katastrophe mit Ansage. Das für 3.000 Menschen ausgelegte „Camp der Leiden“ war hoffnungslos überfüllt, die Versorgungs- und Hygienesituation katastrophal, Covid-19 grassierte. Chronist einer gescheiterten Migrationspolitik ist seit acht Jahren der griechische Fotograf Angelos Tzortzinis. Rund 15 mal hatte er die Insel schon besucht und die immer heikleren Verhältnisse im Lager Moria dokumentiert. Und jetzt gelingt es ihm als Fotoreporter, der immer dort hin geht, wo es weh tut, einen Moment festzuhalten, „in dem Tapferkeit, Fassungslosigkeit und Hilfsbereitschaft angesichts höchster Not zusammentreffen.“ (UNICEF-Jury). Es wird das Siegerbild des Jahres 2020, über das Peter-Matthias Gaede schreibt: Es ist jener „Moment, als aus dem Inferno von Moria ein Kind auftaucht und dem Fotografen direkt in die Augen schaut. Im Blick dieses Kindes, an dessen Hals sich ein kleiner Junge klammert: Entsetzen und Tapferkeit. Und vielleicht auch die ganze Hoffnung, es möge einen Weg aus Armut und Gewalt in ein anderes, ein besseres Leben geben.“
Wir erinnern uns. Die Bundesregierung verpflichtete sind nach dem Drama im griechischen Flüchtlingscamp zur Aufnahme – mit offiziellem Schutzstatus – von 1.553 Menschen aus 408 Familien. Eingereist waren am 9. Dezember 2020 davon erst 149 Migranten, darunter 50 Kinder. Parallel hatten Bundesländer und Kommunen gegenüber dem Bundesinnenminister erklärt, sie seien zur Aufnahme von weiteren 3.709 Personen bereit. Hamburg allein wollte 500 Menschen aufnehmen. Um diesem Angebot nochmals Nachdruck zu verleihen, forderten in einem Weihnachtsappell 368 Abgeordnete aus verschiedenen Landesparlamenten und 245 Bundestagsabgeordnete die Bundesregierung eindringlich auf, „sich für die Einhaltung menschen- und europarechtlicher Standards einzusetzen, die Aufnahme Geflüchteter von den griechischen Inseln in Deutschland zu beschleunigen und die Zusagen angesichts der Aufnahmebereitschaft in Bundesländern, Städten und Gemeinden zu erhöhen.“
Denn auch Kara Tepe, das neue Lager auf Lesbos, ist zu einem Ort der Angst und Hoffnungslosigkeit geworden. Es gibt kaum Duschen und zu wenige Toiletten, die Behausungen sind nicht winterfest, Stromausfälle sind an der Tagesordnung, und bei Regen versinken die Zelte im Schlamm. Die verheerenden Zustände geißelte sogar Bundesentwicklungsminister Gerhard Müller von der CSU. Er sagte, er habe Flüchtlingscamps im Nordirak und Südsudan besucht, doch „nirgendwo herrschten solch schlimme Zustände wie auf Lesbos.“ Und so appelliert auch die Schirmherrin von UNICEF Deutschland, Elke Büdenbender: „Das UNICEF-Foto des Jahres 2020 ist eine eindringliche Mahnung. Es erzählt von einem Drama direkt vor unserer Haustür. Das Bild konfrontiert uns mit unserer Menschenpflicht: Wir in Europa müssen endlich eine Antwort finden – auch für die Kinder von Moria.“
Der zweite Preis: Der Fluch der Kohle
Die Kohlefelder von Jharia im indischen Bundesstaat Jharkhand gehören zu den größten Asiens. Im Tagebau wird hier auf 280 Quadratkilometern das schwarze Gold im Tagebau gewonnen. Ein giftiges Land, in dem seit 100 Jahren aus unzähligen unterirdischen Feuern toxische Gase wie Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid aufsteigen. Luft und Trinkwasser sind verschmutzt, Asthma, Tuberkulose und Hautkrankheiten grassieren. In den oft illegal betriebenen Minen sind auch schon Vier-, Fünf- oder Sechsjährige zur Mitarbeit mit dem Steineschleppen beschäftigt. Viele sind mangelernährt und gehen nicht zur Schule. Ihre Eltern, meist Analphabeten, verdienen täglich umgerechnet nur einen bis zwei US-Dollar und sind so auf die Mitarbeit ihrer Kinder angewiesen.
Der indische Fotograf Supratim Bhattacharjee stellt Umwelt- und Menschen-rechtsthemen in den Fokus seiner Arbeit. Obwohl er schon viel Elend gesehen hat, sei der Anblick der Kinder von Jharia für ihn ein „Schock“ gewesen. Die beiden Mädchen in apokalyptischer Landschaft bringen mit ihren rußge-schwärzten Gesichtern das ganze Elend ihrer Existenz zum Ausdruck: Entsetzen, Erschöpfung und Zerstörung. Eine Momentaufnahme als Anklage mit fragenden Blicken.
Der dritte Preis: Das Favella-Ballett
Dass es auch Lichtblicke inmitten oftmals aussichtsloser Lebensbedingungen in den Favelas von Rio de Janeiro gibt, zeigt der in Deutschland lebende russische Fotograf Evgeny Makarov. Im Armenviertel Manghuinhos haben Mitglieder einer der besten Tanz-Akademien Brasiliens über die Gründung einer Ballettschule beschlossen, 250 Mädchen und jungen Frauen einen Weg aus der täglichen Misere zu zeigen. Hier erleben sie nicht nur Freude und Spiel, sondern das Glück stiftende Training in der Gemeinschaft und monatliche Ausflüge ins Teatro Municipal, wo die Tänzerinnen ihre Idole persönlich kennenlernen können. Makarov bezeichnet die Tanzsschule als einen „Schutzbunker“ in einem von Gewalt und Drogen sowie durch frühe Schwangerschaften geprägten Umfeld. Und das drückt sein Bild aus: Disziplin, Selbstbewusstsein, Stolz und Lebensfreude.