Wie kam es zur Gründung des Rechercheverbundes von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung? Stellt die internationale Verflechtung von Politik und Kapital einzelne Investigativressorts vor Ressourcenprobleme, so dass bei großen Themen wie NSA oder Panama Papers die Kräfte gebündelt werden müssen?
Wir wollten zunächst einmal ausprobieren, ob das Zusammenwirken bei der Recherche in einer größeren Gruppe zu einem besseren journalistischen Ergebnis führt. Wäre dies nicht der Fall, so würden wir es sofort wieder lassen. Wir machen das über die drei deutschen Redaktionen, die themenbezogen zusammenarbeiten. Wenn aber ein globaler Missstand eine internationale Zusammenarbeit erfordert, so wie bei den Panama und Paradise Papers, dann arbeiten wir mit Redaktionen aus aller Welt zusammen und mit großen Marken wie der New York Times, dem Guardian oder Le Monde. Dann treten wir gemeinsam an und veröffentlichen zeitlich abgestimmt.
Der Begriff Fake News wurde 2016 zum Anglizismus des Jahres gewählt, ein Jahr später die „alternativen Fakten“ von Kellyanne Conway zu Unwort des Jahres gekürt. Sie fanden als „in manipulativer Absicht verbreitete Falschmeldungen“ Eingang in den Duden. Nun hat es Desinformation zu allen Zeiten gegeben, von Ulbrichts Mauersatz bis zu den mobilen Waffenlabors Saddam Husseins. Was hat sich daran im digitalen Zeitalter geändert?
Es wurde schon immer gelogen, auch von Politikern wurden Unwahrheiten verbreitet. Wir kennen die Desinformation aus der Welt der Geheimdienste, die am besten mit Fake News zu vergleichen ist, weil hier bewusst die Unwahrheit gesagt und eine Lüge verbreitet wird. Verändert hat sich zum einen die Bereitschaft von manchen in der Politik, die Unwahrheit im beinahe täglichen Rhythmus zu verbreiten. Gerade vor wenigen Tagen hat Donald Trump die deutsche Kriminalstatistik umgedeutet. Dies bedeutet implizit, dass die Kanzlerin und die Polizeibehörden die Deutschen belügen. Bei Trump ist dieses Vorgehen eine regelrechte Methode und für mich insofern beunruhigend, als dies aus Amerika stammt, jenem Land, dem wir Demokratie und Pressefreiheit zu verdanken haben. Dazu kommt zum anderen die Verbreitungsmethode derartiger Lügengeschichten. Ich kenne aus meiner früheren journalistischen Arbeit Stasioffiziere aus der Desinformationsabteilung, die mir schilderten, wie mühsam es in der Zeit vor dem Internet war, jede einzelne kleine Lüge in die Welt zu setzen oder Redaktionen in die Irre zu führen. Heute gibt es dafür sehr einfache Verbreitungskanäle bei hoher Frequenz.
Im Rahmen der 14. Tübinger Mediendozentur haben Sie vor einem Jahr gesagt, dass Fakten der Fels seien, auf denen unsere Entscheidungen im gesellschaftlichen Diskurs gründen. Wir würden jedoch Einiges tun müssen, damit es nicht noch schlimmer kommt. Woran denken Sie da?
Eigentlich ist mir ein milder Optimismus eigen, da ich in meiner journalistischen Laufbahn schon an zu vielen Weltuntergangsszenarien beteiligt war, die nicht eingetroffen sind. Das lehrt Demut. Wir werden aber tatsächlich auf eine ganz andere Art und Weise um Dinge kämpfen müssen, von denen ich angenommen hatte, dass sie selbstverständlich sind. Dass es zum Beispiel nicht straflos geschehen darf, in politischer Verantwortung zu lügen. Schauen wir uns z.B. an, wie der Brexit von seinen Befürwortern begründet wurde, dann muss man festhalten, dass hier Tatsachen verdreht wurden. Was wir uns als Demokratie aber unbedingt erhalten müssen ist, dass wir uns darauf verlassen können, dass die zugrundeliegenden Fakten, über die wir streiten, stimmen. Dass aus einem X kein U werden kann. Das bedeutet, dass die jüngere Generation sehr viel kritischer sein muss, etwa bei der Überprüfung des Absenders von Informationen. Dass, was besonders unterhaltsam ist, muss nicht automatisch besonders gut sein. Der Zugang zu verlässlicher Information ist etwas ganz Besonderes. Es ist ein Grundrecht und nicht weniger wichtig als der Zugang zu einem Krankenhaus oder zu sauberem Wasser.
Besonders die politischen Ränder nutzen ja die Echokammern sozialer Medien strategisch für die gezielte Verbreitung falscher Inhalte. Wähler der AfD etwa haben nur noch ein geringes Vertrauen in das Mediensystem, das sie als „Lügenpresse“ bezeichnen. Sind Populisten und Fake News nicht natürliche Verbündete? Sie geben abgehängten Schichten in einer komplexen Welt Orientierung über einfache Antworten und befeuern ihre Anhänger in einer Filterblase mit Selbstbestätigungsnachrichten. Lässt sich das überhaupt noch aufbrechen?
Eine der Grundvoraussetzungen für Populismus ist eine gewisse Form von Dauererregung. Die Medien müssen daher aufpassen, die Zwillinge Populismus und fiebrige Erregung nicht noch zusätzlich zu bedienen. Ich plädiere für einen Journalismus des ruhigen Tons der Mäßigung und Zurückhaltung, der mit der Komplexität der Welt Schritt hält. Populisten haben immer einen segmentierten Blick auf die Welt oder auch einen gänzlich falschen. Dinge werden in der Argumentation miteinander verknüpft, die ein falsches bzw. sehr einseitiges Bild entstehen lassen. Schließlich kritisiert der Populismus das Bestehende und fordert dessen Abschaffung, ohne jedoch mit einem echten Gegenmodell anzutreten, das eine Alternative aufzeigt.
Müssen sich die Redaktionen der Qualitätsmedien nicht auch kritisch hinterfragen, da sie nicht selten den Fake News aufsitzen? Dass bei überschaubarem Personal im schnellen Nachrichtenmarkt Verifikation und Faktencheck auf der Strecke bleiben, so wie beim jüngsten Cover des TIME MAGAZINE, das mit dem Foto eines weinenden Mädchens gegen Trumps Einwanderungspolitik mobil macht, obwohl dieses gar nicht von den Eltern getrennt war? Auf welche Tugenden muss sich der Journalismus besinnen, um wieder Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, die Sie als den „wahren Goldstandard“ im Nachrichtengeschäft bezeichnen?
Wir haben gerade in den letzten Tagen erlebt, dass es der Redaktion von Titanic gelungen ist, sogar eine Nachrichtenagentur wie reuters dazu zu bringen, die angebliche Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU als Eilmeldung zu versenden. Der Ausgangspunkt der Meldung, ein Twitter Account des Hessischen Rundfunks, existierte nicht, die Telefonnummer führte nicht zum HR sondern in die Titanic-Redaktion. Wir brauchen also weniger Geschwindigkeit, mehr Kontrolle und die absolute Bereitschaft, Fehler zu korrigieren.
Wir Journalisten müssen viel mehr dafür tun, einen Teil des verlorenen Vertrauens zurück zu erobern. Dazu gehört auch, dass wir uns dem Schrillen, dem Zugespitzten und der ungeheuren Geschwindigkeit entziehen. Ich bin überzeugt, dass unser Publikum ein großes Interesse daran hat, schnell informiert zu werden. Aber noch größer ist das Interesse, richtig informiert zu werden. Und wenn das dauert, dann sollten wir das aushalten. Ich war nie ein Anhänger der Theorie, dass sich durch das Internet alles verändert habe und es daher so ungeheuer schnell gehen müsse. Auch das Radio und das Fernsehen waren Live-Medien im Journalismus, der sich durch Gründlichkeit und Faktizität auszeichnen sollte. Ein Überbietungswettbewerb in der Geschwindigkeit des sofortigen Ausdeutens und Analysierens ist eine schlichte Überforderung. Wir müssen wieder den Satz lernen: „Ich weiß es nicht, aber ich finde es heraus.“ Natürlich möchten wir in unserer Recherchekooperation auch als erste etwas wissen. Aber dies ist nur die zweitwichtigste Maxime meines Berufes. Zunächst einmal müssen die Fakten stimmen.
Sie engagieren sich auch im Kuratorium von Reporter ohne Grenzen. Welche Anliegen verfolgt die deutsche Sektion dieser internationalen Organisation?
Wir haben ganz ungewöhnlich viel zu tun. Meine Frau ist im Moment eine der Vorstandssprecherinnen von Reporter ohne Grenzen. Ich bewundere die Arbeit des Vorstands und der Hauptamtlichen, indem sie nicht müde werden darauf hinzuweisen, dass Presse- und Meinungsfreiheit nicht nur ein Recht von Journalisten sind sondern ein Bürgerrecht. Es gibt Diktaturen und autoritäre Regime, die große wirtschaftliche Freiheiten gewähren aber niemals eine freie Presse. Sie haben erkannt, von welcher ungeheuren Bedeutung eine freie Presse und Meinungsfreiheit sind. Auch wir sollten sie nicht als einfach gegeben betrachten. Gerade in den vergangenen Jahren haben Reporter ohne Grenzen sich zunehmend um inhaftierte Kolleginnen und Kollegen – wie in der Türkei – kümmern müssen. Und daher freue ich mich über jede Gelegenheit, wo ich die besondere Arbeit von Reporter ohne Grenzen herausstellen kann. Vielen Dank für die großzügige Spende!
Ein sehr schönes, ehrliches Interview. Die Grundsätze des „guten Journalismus“ sind leider oftmals nicht mehr vorhanden. Wahrheitsgetreue Fakten, sachliche und wertfreie Berichterstattung waren Grundsätze, die mir im Journalismus beigebracht wurden. Um so schöner, dass es Reporter ohne Grenzen gibt, die sich für guten, investigativen Journalismus einsetzen und diesen auch praktizieren.