Ethik & Gesellschaft
Autistic Pride Day: Ich bin Autist. Warum wollt Ihr mich nicht?
Heute ist der Autistic Pride Day. Was das ist? Nun, der Name sagt es eigentlich: Sei stolz, ein Autist zu sein – frei übersetzt, wohlgemerkt. Konkret steht dieser Tag für den Wunsch vieler autistischer Erwachsener nach gesellschaftlicher Akzeptanz ihrer autistischen Eigenheiten. Warum das nötig ist? Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Und der Titel dieses Beitrags deutet im übertragenen Sinne darauf hin: Ich bin Autist. Warum wollt Ihr mich nicht?
Veröffentlicht von Tanja Johannsen am 18. Juni 2021
Ich persönlich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, dass es keine Akzeptanz für autistische Eigenheiten gibt – ganz im Gegenteil. Aber dass der Autistic Pride Day bereits seit 2005 immer am 18. Juni gefeiert wird – und dass es ihn überhaupt gibt – hat mich ein wenig neugierig gemacht. Und je mehr ich erfahren habe, desto passender fand ich den Titel des Artikels, denn er drückt eine Art Ablehnung aus, die mir etwas fragwürdig erscheint. Tatsächlich üben die Vertreter von Autistic Pride Kritik an der Pathologisierung von Autismus, der Deutung der Verhaltensweisen als krankhaft. Darüber hinaus wird ebenso die besonders unter Mediziner verbreitete Vorstellung kritisiert, dass alle menschlichen Gehirne identisch sein sollen. Das Argument: Die Vorstellung, es gebe eine solche ideale und damit erstrebenswerte Gehirnstruktur, würde viele Mediziner zu der Annahme führen, dass jede Abweichung eine „Heilung“ benötigen würde, um somit eine „neurologisch typische“ Norm zu erreichen. Einige Aktivisten sind sogar der Meinung, dass der Versuch, Autismus zu heilen, einer Form von „ethnischer Säuberung“ entspricht. In einem stimmen jedoch alle überein: Autisten sollten eine stärkere Wertschätzung als einzigartige Individuen erfahren.
Woher kommt der Autistic Pride Day?
Der Tag wurde von der Organisation Aspies For Freedom ins Leben gerufen. Sie setzen sich für die Rechte von Autisten ein und wollen durch verschiedene Initiativen wie dem Autistic Pride Day die Öffentlichkeit über Autismus aufklären. Die Ähnlichkeit des Begriffs zur gay pride oder queer pride ist dabei übrigens beabsichtigt. Denn Homosexualität wurde früher ebenfalls offiziell als psychische Krankheit gesehen und unter anderem mit einer Hormontherapie versucht zu heilen. Erst durch den jahrzehntelangen politischen Kampf der Lesben- und Schwulenbewegung wurde ein Umdenken und eine Abschaffung dieser Methoden erreicht. Mit dem Autistic Pride Day hoffen Autismus-Aktivisten einen ähnlichen Aufklärungsprozess in Gang zu bringen und Akzeptanz für die Individualität und die Talente von Autisten in der Gesellschaft zu schaffen.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, lieber Leser. Aber ich war doch ein wenig verwundert, vielleicht sogar erschrocken über die Einstufung von Autismus als Krankheit. Ein Blick auf die Definition von Autismus Deutschland e.V., dem Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus, hat mich darüber aufgeklärt, dass es hier um eine „komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung geht. Sie wird häufig auch als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung bezeichnet, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken.“
Und tatsächlich: Die sogenannten Autismus-Spektrum-Störungen werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer aktuellen ICD 10, der „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“ unter F 84 als medizinische Diagnose geführt – und somit als Krankheit eingestuft. Eine Ursache für Autismus hat sich trotz umfangreicher Forschungsergebnisse bisher noch nicht herausgebildet. Eine Heilung gibt es nicht. Autismus ist komplex und vielfältig. Und wenn das Eintauchen in den Hintergrund des Autistic Pride Days eines bei mir bewirkt hat, dann sicherlich, dass ich hier künftig eine sensiblere und bewusstere Wahrnehmung haben werde.
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