Vergangene Woche war ich zu Besuch bei der ARCHE in Jenfeld. Nicht das erste Mal, dass ich einen der Preisträger unseres HanseMerkur Preises für Kinderschutz besuche und ihnen bei der Arbeit über die Schulter sehe. Die Einrichtung ist Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche im Hamburger Brennpunkt Jenfeld. Sie bekommen hier ein warmes Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung, unterschiedlichste Freizeitangebote und vor allem haben sie immer einen Ansprechpartner, der ihnen zuhört und dem sie erzählen können, wo der Schuh gerade drückt. Die Mitarbeiter der ARCHE sind sehr darum bemüht, auch Eltern und Lehrer in die Arbeit mit einzubeziehen. Allein schon wegen der Sprachbarrieren ist dies in dem Stadtteil mit dem hohen Migrationshintergrund nicht immer leicht. Doch das Engagement der mittlerweile 25 Häuser (bundesweit) ist mehrfach ausgezeichnet und evaluiert. Viele Jugendliche, die als Kind in der ARCHE waren, engagieren sich heute in dem Verein, um den Kindern die Förderung weiterzugeben, die ihnen selbst einmal so sehr geholfen hat.
Szenenwechsel: Corona. Die Türen der ARCHE sind verschlossen. Auf mein Klingeln wurde ich hineingelassen. Wo man sonst wegen der tobenden Kinder kaum sein eigenes Wort versteht, ist es nun sehr still. Tobias Lucht, Leiter des Hauses, führt mich ein wenig herum und erklärt mir die aktuelle Situation. Wir gehen in den großen Veranstaltungsraum, in dem ein riesiges Warenlager eingerichtet wurde. „Während die Kinder hier sonst vor Ort bekocht wurden, müssen wir aufgrund der aktuellen Situation die Familien mit Lebensmitteln versorgen. Wo das Budget normal schon knapp ist, essen nun mittags zwei, drei und mehr Kinder. Viele Familien können das finanziell gar nicht stemmen“, erklärt mir Lucht. Trotzdem nehmen viele Kinder rasant zu. Die Familien kaufen günstige ungesunde Lebensmittel und den Kindern fehlt die Bewegung. Die Care Pakete der ARCHE sind bunt: viel Gemüse, aber auch alles andere, wie beispielsweise Hygieneartikel, was zum Leben eben notwendig ist. Das ganze Warenlager besteht aus Sachspenden und Produkten, die von Geldspenden eingekauft wurden. Das Team der ARCHE versorgt so Hunderte Familien. Ein willkommener Nebeneffekt ist, dass sie dabei auch den Kontakt zu den Kindern und Eltern halten. Dort liegen die Nerven häufig blank. Zu viel Enge, zu viel Nähe, zu wenig Antrieb.
Den Kindern fehlt der Ausgleich, viele Eltern sind mit der „Dauerbespaßung“ – vor allem aber mit dem Homeschooling überfordert. Was sonst die Schulen übernehmen, sollen nun die Eltern betreuen. Die sprechen aber oft nur ihre Muttersprache, Hardware für den digitalen Unterricht ist nicht überall vorhanden und manchmal gibt es nicht einmal WLAN. Die Mitarbeiter der ARCHE helfen auch hier weiter. Manchmal drucken sie einfach ein paar Schulunterlagen aus, die die Kids sich dann abholen. Mit Einhaltung der aktuellen Sicherheitsvorkehrungen können einzelne Schüler auch die Bildschirmarbeitsplätze in der ARCHE nutzen und bekommen Förderunterricht und Hausaufgabenbetreuung. Den Schwestern Melda, Ela und Medine habe ich dabei ein wenig über die Schulter gesehen und schnell gemerkt, wie schwer das mit der Konzentration mittlerweile ist. Die kleinste Ablenkung reichte und die Aufmerksamkeit war dahin. Ich habe mich schnell zurückgezogen, um ihnen nicht die kostbare Betreuungszeit zu stehlen. „Wir haben Angst, dass die Kinder den Anschluss verlieren“, sagte Lucht. „Letzte Woche hatte ich schon einen Anruf, dass ein Elfjähriger sich umbringen wollte. Weil das Jobcenter die Beihilfe zum Laptop abgelehnt hatte, er schulisch so unter Druck war, dass er und seine alleinerziehende Mutter sich am Ende hilfesuchend an uns gewandt haben.“
Das Betreuerteam tüftelt deshalb ständig an Konzepten, wie sie die Kinder und Jugendlichen in die Bewegung bringen und sie – vor allem im schulischen, aber auch im psychosozialen Bereich – noch engmaschiger und intensiver betreuen können. Dabei verfolgen sie natürlich die Lockerungen an den Schulen ganz genau. So, wie die Schüler nach den Maiferien wieder einen Tag pro Woche die Schule besuchen sollen, plant die ARCHE, die Kids einzeln oder in kleinen Gruppen in Timeslots regelmäßig vor Ort zu betreuen, damit sie auch mal wieder zu Hause raus kommen.
Während wir beim Abschlussgespräch zusammen saßen, veröffentlichte die Hamburger Morgenpost online die nächsten Schritte im Schulsystem. Schulsenator Thies Rabe kündigte in seinem Statement an, dass es bis zum Jahresende Fernunterricht geben soll. Dabei kommen die Schüler in kleinen Gruppen an einem Tag pro Woche zur Vor- und Nachbereitung in die Schule, an den anderen Tagen sollen sie daheim lernen.
Mit Verlaub, ich nehme Corona und die erforderlichen Schutzmaßnahmen wirklich sehr ernst. Ich kann auch verstehen, dass der Unterricht nur eingeschränkt stattfinden kann, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Aber wo ist denn hier bei alledem der Hilfeplan?! Besteht er darin, dass gemeinnützige Initiativen schulischen und technischen Support liefern? Besteht er darin, dass Privatpersonen und Firmen wie wir IT-Hardware spenden, damit Schüler überhaupt in die Lage versetzt werden, daheim dem Unterricht zu folgen und sich nicht aus Verzweiflung umbringen wollen oder still abgehängt werden, weil das JobCenter sich nicht zuständig sieht? Im Zweifelsfall ist das JobCenter ja auch nicht einmal zuständig, sondern die Bildungsbehörde, die eine sehr langfristige Anordnung sicher noch nicht bis zum Ende durchdacht hat.
Das Schöne derzeit ist, dass sich ja alles gefühlt täglich ändert. Vielleicht taucht in Kürze auch Herr Rabe wieder in einem neuen Pressetermin auf, in dem er verkündet, dass im Zuge der Corona-Hilfsmaßnahmen ein Bildungsfonds eingerichtet wurde, aus dem die nötige Hardware sowie die zusätzliche Förder-Einzelbetreuung für ALLE finanziert werden kann, denn, wie die Hamburger Senatsvertreter immer wieder öffentlich betonen: „Wir stehen gemeinsam!“ Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass mit gemeinsam demnächst auch wirklich alle gemeint sind.
Da das aber noch ein wenig dauern kann – man weiß nicht wie lang -, möchte ich Sie alle an diese Stelle herzlich einladen gemeinsam zu spenden: Die ARCHE freut sich über haltbare Lebensmittel, Hygieneartikel, kleines Spielzeug und Bastelsachen, mit denen die Kinder leicht zu beschäftigen sind. Geldspenden sind natürlich ebenso hilfreich. Sie werden von den Mitarbeitern genau dort eingesetzt, wo individueller Bedarf ist.
Genaue Informationen, was Sie tun können, erfahren Sie auf der Website oder telefonisch 040 450 63 40 0.