Kinderschutz

„Wir können noch nicht in Rente gehen!“

Deutscher Kinderschutzbund feiert Jubiläum 65/25

Ein trotzig-kämpferisches Motto (s. oben) hatte sich der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) zu seinem 65-jährigem Jubiläum gegeben. Daran erinnernd, dass es zum Verankern der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft einen langen Atem braucht. Gefeiert wurde am 18. Januar 2019 standesgemäß im Atrium der HanseMerkur in Hamburg und damit in der Stadt, wo am 16. November 1953 die größte deutsche Kinderschutzorganisation gegründet wurde. Und noch ein Jubiläum stand im Fokus: Heinz Hilgers (70), der den Verband bereits seit 25 Jahren führt.

Veröffentlicht von Heinz-Gerhard Wilkens am 22. Januar 2019

Im Mittelpunkt des prominent besetzten DKSB-Fachtages standen zwei zentrale Themen: Kinderrechte und Kinderarmut. DKSB-Vizepräsident Christian Zainhofer erinnerte in seiner Begrüßung daran, dass Kinderrechte für alle Kinder gelten, auch für jene mit Kopftuch: „Kinderrechte sind Menschenrechte!“ Und an Heinz Hilgers gewandt sagte er: „Der Verband steht tief in Deiner Schuld.“ Dabei attestierte er dem DKSB-Präsidenten eine enorme Fachkenntnis, die scheinbare aus Fleiß geborene Fähigkeit, an mehreren Orten gleichzeitig aufzutreten und die unnachahmliche Fähigkeit, Dinge auf den Punkt zu bringen. So hatte Hilgers kürzlich das „Gute-Kita-Gesetz“ von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey als „Bürokratie-Stärkungs-Gesetz“ gegeißelt.

Für den Hamburger Senat sprach Dr. Melanie Leonhard, Präses der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, das Grußwort. Vor dem Hintergrund der gerade vorgestellten Ergebnisse der Hamburger Enquetekommission für Kinderschutz sagte sie: „Jedes Kind im Land ist unser Kind. Wir müssen uns dem Kind zuwenden in einer Kultur des Hinschauens. Und die zentrale Frage bleibt: ‚Wie bekommen wir es hin, dass kein Kind aus dem Blick gerät?‘“ Als später zum Thema Kinderrechte ins Grundgesetz diskutiert wurde, hatte die Senatorin die Veranstaltung bereits verlassen. Aber angemerkt sei doch, dass Hamburg das einzige Bundesland ist, wo Kinderrechte nicht in der Landesverfassung verankert sind.

In ihrer Keynote Speech hielt Bundesjustizministerin Dr. Katarina Barley ein Plädoyer für die Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung: „Es ist an der Zeit, Kinderrechte in unserer Verfassung besser sichtbar zu machen und im Grundgesetz zu verankern. Damit wollen wir deutlich machen, dass Kinder auch eigene Rechte haben und das Kindeswohl stets berücksichtigt werden muss.“ Barley gibt sich dabei mit einer Staatszielbestimmung allein nicht zufrieden. „Eine Staatszielbestimmung ist nur sinnvoll für Bereiche, wo es keine Grundrechte gibt.“

Mit Jubilar Heinz Hilgers durfte ich ein Interview führen, zu dem auf der Videowand im Atrium Fotos aus einem Leben eingeblendet wurden. Als SPD-Wahlkämpfer in NRW, als Bürgermeister in Dormagen, als Netzwerker mit Bundespräsidenten und Bundesministern oder anderen Größen der Politik wie Michail Gorbatschow. Der ehemalige Vollbartträger dazu: „Da habt Ihr aber die alten Che Guevara-Bilder von mir rausgekramt.“ Hilgers, der kürzlich gesagt hatte, dass wir die Zukunft unserer Kinder verfrühstücken, sagte mit Blick auf zwei Billionen Euro Staatsschulden, dass er sich manchmal für die Enkelgeneration dafür schäme, dass wir das, was in Armut geschaffen wurde, im Wohlstand verbraucht hätten, Stichwort marode Infrastruktur oder kaputte Umwelt. „Schon jetzt wächst ein großer Teil von Kindern in Armut auf, wird unfair behandelt und ist chancenlos. Wer soll die immensen gesellschaftlichen Aufgaben der Zukunft stemmen? Eigentlich müssten jetzt die Ökonomen und nicht Gutmenschen wie wir aufschreien.“

Rückblickend auf ein Vierteljahrhundert an der DKSB-Spitze verbucht Hilgers das verankerte Recht auf gewaltfreie Erziehung sowie das Dormagener Modell der Frühen Hilfen und damit der aufsuchenden Sozialarbeit als Erfolg. Aber das Thema Armut stand schon 1993 bei seiner Wahl zum Präsidenten auf der Agenda: „Es ist sehr ärgerlich, dass zwei Generationen der verpassten Chancen und damit viel zu viele Kinder so aufwachsen mussten.“ Hilgers, der sich auch in anderen Projekten ehrenamtlich engagiert, wie in der Jury des HanseMerkur Preises für Kinderschutz, liegt der Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung sehr am Herzen. So hat der DKSB jüngst einen Beschluss zur Unvereinbarkeit von AfD-Mitgliedschaft und Engagement im DKSB gefasst. „Unser Ansatz ist geprägt von Wertschätzung und Hilfsbereitschaft. Wer Menschen verachtet, weil sie aus anderen Kulturen kommen, der ist bei uns falsch.“ Für die Zukunft des Verbandes wünscht sich Hilgers auch viele junge Leute, die sich engagiert für die Ziele des Kinderschutzes einsetzen. Das Thema Kinderarmut bleibe zentral: „Wir müssen hier Fundamente für Chancengleichheit legen.“

Bei der ersten Podiumsdiskussion des Abends zum Thema „Kinderrechte ins Grundgesetz – jetzt!“ herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass eine Umsetzung bis zum Jahresende 2019 erfolgen müsse. Heinz Hilgers plädierte für eine Verknüpfung mit Schutz-, Förderungs- und Verteidigungsrechten. Dass Kinder sehr wohl in für sie relevante Stadtplanungen eingebunden werden könnten, habe er in Dormagen gezeigt. Hier würden die Grundlagen für eine lebendige Demokratie gelegt. „Gute Beispiele verändern die Welt mehr als immer neue Gesetze.“ Prof. Dr. Stefan Heilmann, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Frankfurt a.M., sieht in den grundgesetzlich verankerten Kinderrechten vor allem die Chance, dass sich „die Haltung vor Gesetzgeber und Gerichten ändern wird. Es muss aufhören, dass Kinder als Annex der Eltern betrachtet werden. Es gibt eine elternorientierte Fehltendenz. Aber Kinder dürfen nicht zum Spielball staatlicher Kinderpolitik werden.“

Die Kindheits- und Familienforscherin und DKSB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Sabine Andresen führte in das Thema „Kinderarmut und deren Auswirkungen“ ein. Sie zählte die historische Kontinuität von Belastungsfaktoren in Elternhäusern mit fehlenden finanziellen Ressourcen auf: kein eigenständiger Platz zum Lernen, keine Privatsphäre, da ein eigener Ort (ein eigenes Zimmer) meist nicht finanzierbar ist, wenig Mitsprache mit Auswirkungen auf das Selbstbild, Bürokratie in Armutslagen. „Hier darf der DKSB als Stimme nicht leiser werden. Die Gerechtigkeit zwischen den Generationen ist die zentrale soziale Frage des 21. Jahrhunderts“, so Andresen.

Ihr wissenschaftlicher Aufriss bildete die Einführung zur zweiten Podiums-diskussion unter dem Titel „Kinderarmut in Deutschland – arm dran in einem reichen Land“. Dabei machte sich Dr. Dietmar Bartsch vom Netzwerk gegen Kinderarmut und Fraktionsvorsitzender der Linken im Deutschen Bundestag, Gedanken über die schwindende Durchlässigkeit im System. „Das Aufstiegs-versprechen früherer Jahrzehnte gilt nicht mehr. Neu ist auch, dass Armut heute Menschen trifft, die in Arbeitsverhältnissen stehen.“ Dr. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband und der Sprecher des Bündnisses Kindergrundsicherung, wünscht sich einen Neustart in der Armutspolitik, die mehr ist als das Verteilen von Geld und von einem anderen Menschenbild zu Bürgern in prekären Lebensumständen geprägt ist. Fee Linke, eine alleinerziehende Mutter und Organisatorin der Demo „Es reicht für uns alle“, möchte raus aus der „fürsorglichen Belagerung und der schambehafteten Armut. Armut mit Kindern ist das Blödeste, was man sich vorstellen kann, eine Parallelgesellschaft in Scham, wo die Tochter schon einmal fragt, ob man in Restaurants Eintritt bezahlen muss.“ Linke geißelt auch falsche politische Konzepte zur Armutsbekämpfung: „Beim Wort Baukindergeld fällt die Alleinerziehende vor Lachen von der Schlafcouch.“ Ihre Sicht wurde bestätigt von der Journalistin und Buchautorin Julia Friedrichs („Gestatten: Elite“). „Die Empathie in bürgerlichen Kreisen ist nicht so groß, wie immer angenommen wird. Das Misstrauen gegenüber den arbeitslosen Hartz IV-Eltern verhindert die Empathie für ihre Kinder. Aber Kinder sind keine kleinen Arbeitslosen. Alle sind gleich viel wert. Daher müssen ihre Bedürfnisse vom Staat abgesichert werden. Stichwort Kindergrundsicherung.“

Eine sehr persönliche Würdigung erfuhr DKSB-Präsident Heinz Hilgers durch Videobotschaften von Hannelore Kraft, Manuela Schwesig und Prof. Dr. Rita Süssmuth. Und der HanseMerkur Vorstandsvorsitzende Eberhard Sautter hob hervor: „Der DKSB ist seit fast 30 Jahren ein verlässlicher Partner des HanseMerkur Preises für Kinderschutz. Unsere breite Kooperation ist eine Win-win-Situation, die der Hand in Hand-Leitidee unseres Unternehmens entspricht.“ An den Jubilar Heinz Hilgers gewandt, sagte Sautter: „Ich wünsche Ihnen Gesundheit, weiterhin viel Geduld beim Bohren dicker Bretter, dass viele wichtige Ziele des DKSB zur Umsetzung gelangen, dass Sie weiterhin viel Freude als Präsident und im Kreise Ihrer Familie haben und Ihnen das Repertoire an Witzen nie ausgehen möge!“

Die Impressionen des Abends hat Fotografin Michaela Kuhn in unserer Bildergalerie für Sie festgehalten.

Aufstellen für die Presse (v.l.n.r.): Heinz Hilgers, Dr. Katarina Barley, Dr. Melanie Leonhard, Eberhard Sautter
Eberhard Sautter
Dr. Melanie Leonhard
Videobotschaft von Prof. Dr. Rita Süßmuth
Dr. Katarina Barley
Heinz Hilgers im Interview mit Heinz-Gerhard Wilkens
Auch Manuela Schwesig gratulierte mit einer Videobotschaft
Podiumsdiskussion “Kinderrechte ins Grundgesetz – jetzt!” (v.l.n.r.): Prof. Dr. Stefan Heilmann, Heinz Hilgers, Franziska Fischer, Dr. Katarina Barley, Marcus Weinberg
Prof. Dr. Sabine Andresen
Podiumsdiskussion zur Kinderarmut (v.l.n.r.): Dr. Dieter Bartsch, Prof. Dr. Sabine Andresen, Franziska Fischer, Fee Linke, Dr. Ulrich Schneider, Julia Friedrich
Generationsübergreifende Weggefährten in 65 Jahren DKSB…
…und ein Publikum, das Fragen hatte.
Souverän durch den Abend führten Frankziska Fischer und Heinz-Gerhard Wilkens.

One thought on “„Wir können noch nicht in Rente gehen!“”

  1. Tja, eine sehr wichtige Einrichtung in der heutigen Zeit. Es gibt wohl nichts wichtigeres wie den Schutz und die Unterstützung unseres Nachwuchses.
    Da dürfen wir auf keinen Fall nachlassen.

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