HanseMerkur

Jetzt bewerben!

Wir sind umgezogen! Bewerben Sie sich für den HanseMerkur Preis für Kinderschutz in unserem Newsroom. Weitere Informationen finden Sie hier.

Umwelt & Nachhaltigkeit

Das Geschäft mit der magischen Tüte

55 Kilo Lebensmittel werden jedes Jahr pro Kopf in Deutschland verschwendet. Nahrung, die noch genießbar ist. Mit kleinen Macken oder abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum. Immer mehr Start-Ups machen es zu ihrem Geschäftsmodell, der Verschwendung Einhalt zu gebieten. Doch funktioniert das auch für die Macher?

Veröffentlicht von Silke Hirschfeld am 5. März 2021

Während in Frankreich, Belgien und Tschechien der Staat aktiv gegen Lebensmittelverschwendung vorgeht, indem er Supermärkte dazu verdonnert, unverkäufliche Ware zu spenden, hinkt Deutschland weit hinterher. Selbst das Containern ist bei uns illegal. Einige Supermärkte spenden Lebensmittel kurz vor dem Ablaufdatum an die Tafel, aber das geschieht auf freiwilliger Basis und wird leider von den wenigsten so gehandhabt. Gut für Start-Ups, wie Too Good To Go (TGTG), Motatos oder Sirplus, deren Geschäftsmodell die Rettung von Lebensmitteln ist.

Obwohl der Umsatz des dänischen Unternehmens durch die Pandemie um rund 60 Prozent eingebrochen ist, hat TGTG im Jahr 2020 nach eigenen Angaben 29 Millionen Mahlzeiten in 15 Ländern vor der Tonne gerettet. Das Prinzip ist einfach: über die App können mit wenigen Klicks fertige Mahlzeiten in Restaurants oder Tüten mit verschiedenen Lebensmitteln, sogenannte Magic Bags, im Einzelhandel erworben werden. Für die Abholung gibt es ein Zeitfenster, gezahlt wird per Kreditkarte. Der Preis für die geretteten Lebensmittel und Gerichte beträgt in etwa ein Drittel des ursprünglichen Preises. TGTG verdient an jeder Tüte einen Euro.

Das Rettungsmodell ist leider noch nicht profitabel und wird deshalb von Investoren getragen. Allein für 2019 verbuchte das Start-Up rund elf Millionen Verlust. „Die App lebt davon, dass sie groß ist,“ sagt Peter Wiedeking, der selbst bis Mitte 2018 für TGTG gearbeitet hat, dem Handelsblatt. Möglichst viele Nutzer in möglichst vielen Ländern sind erforderlich, damit das Konzept Gewinn abwirft. Deshalb ist als nächstes die Expansion in den USA geplant. Dort ist die App bislang nur in New York und Boston aktiv, obwohl der Markt vorhanden ist: 40 Prozent der genießbaren Lebensmittel landen in den Vereinigten Staaten im Müll. Auch Deutschland schneidet in der Statistik nicht besonders rühmlich, wie die nachstehende Grafik zeigt.

Das Konzept der Lebensmittelrettung hat allerdings auch Gegner: Urs Niggli, Professor für Agrarökologie in der Schweiz, sieht das Ziel der Vermeidung von Verschwendung verfehlt. Er befürchtet, dass die Menschen nur noch Jagd auf billige Lebensmittel machen und mehr konsumieren als zuvor. Nun machen viele Menschen das leider eh schon. Anders ist es nicht zu erklären, dass im Supermarkt regelmäßig das Kilo Schweinenacken für Euro 1,99 über die Verkaufstheke geht. Viele Bäcker und Fastfoodrestaurants haben eine tägliche Überproduktion, weil die Kunden erwarten, dass das komplette Angebot bis zum Ladenschluss zur Verfügung steht und ansprechend ausgestellt wird. Supermärkte füllen ihre Auslagen ebenfalls bis zum späten Abend mit frischen Waren auf, anstatt sie bis zum nächsten Tag in der Kühlung zu lassen, wo sie länger haltbar sind.

Ernährung und der Umgang mit Lebensmitteln ist eben auch eine Frage von Bewusstsein und Haltung, bei der Industrie, Handel und Bürger gleichermaßen in der Verantwortung stehen.

One thought on “Das Geschäft mit der magischen Tüte”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.