Haben Sie sich auch schon einmal gewünscht, in einer schwierigen Situation im Leben einfach an die Hand genommen zu werden? Die Initiative, die wir gestern im Rahmen des HanseMerkur Preises für Kinderschutz besucht haben, macht das. Allerdings für eine besonders vulnerable Gruppe: junge Menschen zwischen 17 und 20 Jahren, die in Heimen, Wohngruppen oder Pflegefamilien untergebracht und im Übergang in ein selbstständiges Leben sind. Der Verein verfolgt dabei ein besonderes Konzept, denn die jungen Menschen werden von Ansprechpartnern betreut, die selbst in dieser Situation waren. Ein Austausch auf Augenhöhe sozusagen. Wichtig sind dabei unabhängige Räume für Begegnungen unter sich, um Beratung und Informationen zur Rechtssituation zu bekommen oder auch bei der Durchsetzung der Rechte zu unterstützen. Vielleicht fragen Sie sich ein wenig, warum eine Begleitung nicht einfach durch einen professionellen Anwalt erfolgen kann. Nun, das Besondere an der Situation ist, dass die Jugendlichen häufig durch mangelnde Zuwendung in den Einrichtungen, Überforderung bei der Selbstständigkeit, Unsicherheiten und schlichtweg Hilfeverweigerung geprägt sind. In dieser Situation ist es nötig, sich in sein Gegenüber hineinversetzen zu können – und jemand, der selbst einmal betroffen war, kann das am besten.
Eine von ihnen ist Jess, die wir bei unserem Besuch kennenlernen durften. Was uns dabei aufgefallen ist: Die Initiative sitzt in wahnsinnig tollen Räumlichkeiten. Sie wurden gemeinsam mit den Jugendlichen ausgebaut und gestaltet – von der Wandfarbe bis zum Bodenbelag wurde alles mit ihnen abgestimmt. Jess hat dadurch auch einen Vorgeschmack darauf bekommen, was uns früher oder später alle erwartet, wenn wir eine Wohnung einrichten – von „total super, macht richtig Spaß“ bis „puhh, ist auch irgendwie anstrengend“ war alles dabei. Der Unterschied: Junge Menschen wie Jess sind es oftmals nicht gewohnt, so umfangreich in Entscheidungsprozesse eingebunden zu werden, weil sie es aus staatlichen Einrichtungen, in denen sie aufgewachsen sind, so nicht kennen. Umso wichtiger sind Erfahrungen wie diese.
Dazu muss man vielleicht auch wissen, dass nur jede sechste stationäre Hilfe in diesem Bereich über das 18. Lebensjahr hinaus Unterstützung anbietet. Angesichts der Tatsache, dass Kinder, die zuhause aufwachsen, ihr Elternhaus im Durchschnitt erst mit 24,5 Jahren verlassen, wird vielleicht deutlich, dass es für Jugendliche aus staatlichen Hilfeeinrichtungen recht früh in die Selbstständigkeit geht und Unterstützung deshalb dringend benötigt wird. Das zeigt auch folgende Tatsache: Die Initiative gibt es erst seit August 2019. Aber innerhalb eines Jahres wurden bereits 120 Jugendliche betreut.
Fünf von ihnen durften wir gestern kennenlernen. Bei ganz hervorragenden Chilli sin Carne – gekocht von Jess – ließen wir den Tag mit einer spannenden Diskussion zwischen ihnen und der zuständigen Jugendamtsleiterin ausklingen. Sie hatte sich extra Zeit für unsere Geheime Mission genommen und stellte sich auch kritischen Fragen.
Unser Eindruck am Ende des gestrigen Tages: Eine tolle Einrichtung, in der rund 38 Mitarbeiter, Helfer und Unterstützer alles geben, um den frühen Start in die Erwachsenenwelt zu bewältigen.
In dem morgigen Beitrag unserer Reihe Geheime Mission nehmen wir Sie mit in den Westen Deutschlands. Auch dort warten spannende Eindrücke auf uns. Wir freuen uns, wenn Sie wieder dabei sind.
