Auf die Frage, wie sie ihren momentanen Gefühlszustand beschreiben würden, antwortete nahezu jeder zweite Befragte eher negativ, zum Beispiel mit „müde“, „unsicher“, „genervt“ und „gestresst“. Mehr als die Hälfte (52 Prozent) gab an, ihre Lebenssituation habe sich verschlechtert, in Deutschland waren es 46 Prozent. Ganz konkret bedeutet das: Vier von zehn jungen Menschen zwischen 16 und 26 Jahren (39 Prozent) verloren in den vergangenen Monaten der Pandemie ihren Job oder erlitten finanzielle Einbußen. In Deutschland waren es 29 Prozent, die angaben, von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen gewesen zu sein, in Griechenland sogar 58 Prozent.
Die Befragten fühlen sich in allen Lebensbereichen stark belastet und befürchten, dass dies auch vorerst so bleibt. Am schwierigsten (72 Prozent) empfinden Jugendliche und junge Erwachsene die Beschränkungen im öffentlichen und sozialen Leben – z.B. reduzierte Kontaktmöglichkeiten mit Freunden und Familie oder geschlossene Geschäfte und Sportvereine. 60 Prozent von ihnen sorgen sich, dass die Belastungen in diesen Bereichen auch in Zukunft hoch bleiben werden.
Dennoch scheint Zuversicht die Stimmung zu prägen: „Es ist beeindruckend, mit welchem Optimismus die 16- bis 26-Jährigen in Europa in die Zukunft nach Corona blicken. Bezogen auf die eigene Situation sind 64 Prozent der jungen Europäer eher optimistisch eingestellt. Mit besonders viel Optimismus schaut die junge Generation in Griechenland (74 Prozent), Großbritannien und Deutschland (je 66 Prozent) in die Zukunft,“ sagt Thomas Ellerbeck, Vorsitzender des Kuratoriums der TUI Stiftung. Und das, obwohl Jugendliche und junge Erwachsene viele Einschränkungen erlebt haben, sei es in der Schule, beim Studium, Sport oder dem Treffen im Freundeskreis. Dennoch ist ihre Grundstimmung und Motivation positiv.
Junge Europäer folgen Corona-Regeln
Während der Pandemie verhalten sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen überwiegend regelkonform: Nur knapp ein Fünftel (19 Prozent) aller Befragten gab an, gesetzliche Maßnahmen und Empfehlungen zu ignorieren. Spanier und Italiener halten sich dabei am striktesten an die Vorgaben. Wer sich an die Regeln hält, tut dies vor allem, um die Gesundheit der anderen zu schützen (76 Prozent). Das eigene Wohlsein steht für 54 Prozent der jungen Europäer im Vordergrund. Für Deutschland zeigt sich dabei insbesondere, dass sich die Bewertung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie seit Herbst letzten Jahres deutlich verändert hat. Im September 2020 hielten noch 52 Prozent der Befragten die getroffenen Maßnahmen für „angemessen“, 18 Prozent von ihnen für „eher nicht ausreichend“ und fünf Prozent für „nicht ausreichend“. Im April 2021 – zu einem Zeitpunkt, als die Infektionszahlen erneut stiegen in Deutschland – bewerteten dagegen mehr als die Hälfte der befragten 16- bis 26-jährigen Deutschen die Maßnahmen für nicht ausreichend (54 Prozent). Lediglich 16 Prozent bewertete sie als „angemessen“. Dem Pandemie-Management der Europäischen Union stellt die Mehrheit der jungen Europäer ein bestenfalls mittelmäßiges Zeugnis aus (40 Prozent „mittelmäßig“). 31 Prozent bewerten es als „schlecht“ und nur 16 Prozent mit „gut“.
Drängendste Probleme: Umweltschutz, Wirtschafts- und Gesundheitspolitik.
Die Gesundheitspolitik gehört erstmals seit dem Start der Jugendstudie der TUI Stiftung im Jahr 2017 zu den dringlichsten Problemen der EU, was demnach 28 Prozent aller Befragten in den sieben europäischen Ländern bestätigen. Angesichts der nun seit 15 Monaten andauernden Pandemie ist das wenig überraschend. Wie schon im vergangenen Jahr führt der Umwelt- und Klimaschutz diese Liste an (41 Prozent aller Befragten), vor der Wirtschafts- und Finanzpolitik (32 Prozent) sowie Migration und Asyl (31 Prozent). Für die jungen Deutschen ist im europäischen Vergleich der Klimaschutz besonders wichtig: Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) gab an, es sei das herausragendste politische Problem in der EU. Danach folgt Migration und Asyl mit 33 Prozent, anschließend Gesundheitspolitik mit 32 Prozent. Zudem wird von den jungen Deutschen das Thema Digitalisierung als besonders drängend für die EU (21 Prozent, der europäische Durchschnitt liegt bei sieben Prozent) und im eigenen Land betrachtet (30 Prozent).
Mit Blick auf die Politikgestaltung haben junge Europäer eigene Vorstellungen: 44 Prozent finden, dass die Bekämpfung des Klimawandels Vorrang vor Wirtschaftswachstum haben sollte. Zudem würden sie die Rechte von LGBTQ+ Menschen weiter stärken (59 Prozent) und sind für Maßnahmen, um Einkommensunterschiede zu verringern (49 Prozent). Für eine weitergehende europäische Einigung spricht sich ebenfalls eine Mehrheit aus, wobei die stärkste Zustimmung aus Griechenland, Italien, Spanien und Deutschland kommt. Den Status Quo behalten wollen vor allem junge Menschen in Großbritannien und Frankreich.
Mehrheit der jungen Menschen in Deutschland und Großbritannien für Wählen mit 16
Der Grad des politischen Interesses und des Engagements unterscheidet sich im europäischen Vergleich: In Frankreich (20 Prozent), Spanien (31 Prozent), Italien (19 Prozent) und Griechenland (31 Prozent) interessieren sich junge Leute weniger stark für Politik als im europäischen Durchschnitt (33 Prozent). 30 Prozent der Befragten in Europa interessieren sich überhaupt nicht oder wenig für Politik. Die Ergebnisse der Jugendstudie zeigen auch, dass politisches Interesse noch immer stark von individuellen Ressourcen abhängig ist, also von Bildung, Wohlstand, aber auch vom Geschlecht. So sind junge Frauen mit 24 Prozent offenbar deutlich seltener politisch interessiert als junge Männer mit 41 Prozent. Besonders hoch ist das politische Interesse dann, wenn Eltern regelmäßig Wählen gehen (87 Prozent gegenüber 71 Prozent bei den Elternhäusern mit niedriger Wahl-Beteiligung), man sich durch Schule und Ausbildung gut auf das Wählen vorbereitet fühlt (42 Prozent gegenüber 30 Prozent) und das politische System insgesamt als fair betrachtet wird.
Politisches Interesse ist einer der wichtigsten Bestimmungsfaktoren für die Wahrscheinlichkeit, sich an Wahlen zu beteiligen. Ein weiterer ist die Verinnerlichung einer Wahlnorm, wenn also „Wählen als Bürgerpflicht“ gesehen wird. Diese Sichtweise ist unter den befragten jungen Menschen weit verbreitet, 87 Prozent von ihnen stimmen ihr zu. Und trotzdem beteiligen sich junge Erwachsene in der Regel nur unterdurchschnittlich an Wahlen.
Das Wählen mit 16 Jahren ist bei jungen Europäern nicht unbedingt ein Selbstläufer. 36 Prozent von ihnen fänden es besser, wenn auf nationaler und europäischer Ebene bereits mit 16 Jahren gewählt werden könnte. Nur in Großbritannien und Deutschland gibt es eine knappe Mehrheit (54 Prozent Deutschland, 56 Prozent Großbritannien) für die Absenkung des Wahlalters, während in den anderen europäischen Ländern das Bild gemischt ist und nur etwa ein knappes Drittel die Absenkung des Wahlalters begrüßt.
Die Gesamtausgabe der Jugendstudie „Junges Europa 2021“ steht hier zum Download zur Verfügung.